Ganz schön verrückt

Die Madrider Band Hinds hat es dank Online-Veröffentlichungen auf die grossen Bühnen geschafft. Das ist völlig verdient: Ihre Garagenmusik schmeckt nach Sonne und geht in die Beine.

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

«It’s crazy!», sagt die 21-jährige Ana García Perrote während des Interviews immer wieder. Und verrückt ist das Ganze wirklich. Innerhalb eines Jahres sind sie und ihre drei Mitstreiterinnen der Band Hinds von ihrem Studentendasein in Madrid, auf die grossen Musikbühnen katapultiert worden: Vorband von The Strokes im Hyde Park, Auftritt am Glastonbury-Musikfestival, Welttournee. Und dann gibt’s da noch diese Anekdote einer Party in Harrison Fords Haus. Aber der Reihe nach. 

Angefangen hat alles an einem Strand in Spanien. Als García Perrote mit der 24-jährigen Carlotta Cosials 2011 und Freunden am Meer war, brachte ihr Cosials einige Akkorde auf der Gitarre bei. Zurück in Madrid hatten sie ein paar Auftritte als Coverband, die die beiden aber der Erzählung nach mehr schlecht als recht über die Bühne brachten. Beschämt beschlossen sie, nie wieder ein Wort darüber zu verlieren. Achtzehn Monate später, im Winter 2013, begannen sie eigene Songs zu schreiben. Zwei davon nahmen sie mit ihrem Smartphone auf und veröffentlichten sie als «Demo» im Frühling 2014 auf der Website Bandcamp (damals noch unter dem Bandnamen Deer, inzwischen zwang die gleich klingende Band The Dears sie zu einem Namenswechsel).

Es dauerte nur wenige Monate, bis es verrückt wurde. «Es wurde grösser und grösser, wie ein Schneeball, den man den Hang hinunterrollt», erzählt Perrote. Die einflussreiche Zeitschrift «New Musical Express» (NME) schrieb im Juli 2014 über sie, «The Guardian» erklärte ihr «Demo» Mitte September zum Album der Woche, und eine Plattenfirma flog extra nach Madrid. «Während des ersten Treffens fragte uns der Manager nach unseren Träumen. Wir sagten ihm, wir würden gerne drei Konzerte in Spanien spielen. Das war alles, was wir uns erhofften. Nur schon eine Band zu sein, war unser Traum.» 

Und nun sitzt García Perrote auf dem Sofa ihres Plattenlabels in London, neben ihr die 19-jährige Amber Grimbergen, die Schlagzeugerin der Band, die im Herbst 2014 kurz nach der 23-jährigen Bassistin Ade Martín zur Band stiess. Vor ihnen steht der Laptop, auf dem wir über Skype kommunizieren. Perrote fallen die dunkelbraunen Haare über die Schultern. Sie spricht schnell, lacht viel und gestikuliert wild mit den Händen. Ihre Lebensfreude ist ansteckend. Neben ihr wirkt die blonde Grimbergen etwas scheu und in sich gekehrt. 

Die Hinds sind ein Produkt ihrer Do-it-yourself-Generation. Sie haben nicht nur das Musikmachen sich selber beigebracht, die Songs selber aufgenommen und ihre eigenen Videoclips gefilmt und geschnitten. Auch ihre Social-Media-Präsenz haben sie genauestens überwacht. «Wir sind richtige Social-Media-Freaks und haben von Anfang an genau darauf geachtet, wer uns liket und wer nicht und welche Foto und welcher Eintrag geliket werden», erzählt Perrote selbstironisch lachend. 

Kurz nach dem Plattenvertrag kamen bereits die ersten Konzertanfragen: Thailand, Hongkong, Australien. Und dann rief der Manager von The Libertines an. «Er sagte: ‹Okay, flippt nicht aus, und ihr müsst das auch nicht machen, wenn ihr euch nicht bereit fühlt, aber wir wollen euch als Vorband.›» Perrote lacht erneut schallend. «Natürlich haben wir zugesagt, obwohl es erst unser 20. Konzert war, und dann gleich noch vor sechstausend Zuschauern. Wir waren so nervös, dass wir vorher kaum schlafen konnten.»

Ihre Songs im Garage-Rock-Stil klingen wie eine Kreuzung zwischen den Black Lips und den Pipettes oder den Vivian Girls und den Thee Headcoatees. Deren Mitgröl-Kracher «Davey Crockett» haben sie inklusive des von den Ramones geprägten Punkmusik-Schlachtrufs «Gabba Gabba Hey» als Cover aufgenommen. Ihre Songs drehen sich um das, was einen eben bewegt, wenn man Anfang zwanzig ist: Beziehungen, Liebe, Ausgang, Freunde. Die schrammenden Gitarrenriffs und die sich manchmal überschlagenden Stimmen passen zu ihrer DIY-Musik, die gute Laune macht und schnell in die Beine fährt. 

Diesen Stil wollten sie auch beibehalten, als ihnen im April 2015 zum ersten Mal ein Studio zur Verfügung stand. Als Produzenten wählten sie deshalb den befreundeten Musiker Diego García der Garage-Band The Parrots. Und so hat man beim Anhören ihres Albums das Gefühl, live mit Freunden in einem Bandkeller zu sein, Bier und Zigarette in der Hand, während man sich beim Mitsingen heiser schreit. 

Böse Zungen behaupten, der Erfolg sei ihnen bloss durch ihre Jugend und ihr Aussehen beschert worden; gestandene Musikjournalisten berichten in einem etwas väterlichen, gönnerhaften Ton über die Band. Dabei merkt man den Frauen während des Interviews deutlich an, wie hart sie für ihren Erfolg arbeiten. «Zwei Monate nach den Aufnahmen kamen wir wie Nerds mit seitenlangen detaillierten Notizen zurück ins Studio, um die Songs abzumischen», erzählt Ana García Perrote. 

Auch ihrer Heimatstadt ist ihr Erfolg nicht entgangen. «Wir sind nicht wirklich berühmt in Madrid, eher berüchtigt. Weil das so verrückt ist, was mit uns passiert ist, mögen uns nicht alle. Also entweder sie lieben uns, oder sie hassen uns», ergänzt Perrote und wirkt zum ersten Mal distanziert. 

Und wie war das jetzt mit Harrison Fords Haus? Perrote krümmt sich wieder vor Lachen. «Das stimmt schon. Wir waren in seinem Haus. Eine befreundete Band von uns ist mit der Band von Fords Sohn befreundet, und die haben uns gefragt, ob wir mitkommen wollen.» So einfach geht das. Und wie war’s? «Gross. Irgendwo war auch noch seine Mutter, und Ade musste sich später in seinem Badezimmer übergeben.» Da ist es wieder, ihr Lachen. «It’s crazy», sagt sie. «Wir verdanken das alles dem Internet.»

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