Aus der bitteren Ehekrise mit Gatte Jay-Z hat Beyoncé auf ihrem Album «Lemonade» süsse Erfrischung gemacht.
Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)
Nicht viele Frauen schaffen es, mit einem Baseballschläger in der Hand sexy auszusehen. Aber Beyoncé Knowles gelingt genau das, wenn sie im Film «Lemonade» in einem wallenden, gelben Kleid majestätisch eine Strasse hinunterschreitet und dabei mit viel Schwung Autofenster zertrümmert. So als handle es sich um den Kopf ihres Ehemannes Jay-Z.
Was ist passiert? Er hat sie betrogen. Offiziell bestätigt wurde es nie. Aber Knowles beschreibt den Seelenschmerz auf ihrem neuen Album so eindrücklich, dass kaum jemand mehr daran zweifelt. Gerüchte kamen schon einmal auf. 2014. Als ein Video veröffentlicht wurde, das zeigt, wie ihre kleine Schwester Solange ihren Ehemann Jay-Z im Lift vermöbelt. Seither hat Queen Bey geschwiegen. Dass sie nun plötzlich Details dazu preisgibt, hat alle genauso überrascht wie die plötzliche Veröffentlichung ihres neuen Albums «Lemonade».
Doch in der Zwischenzeit hat sie zum Auftakt ihrer Welttournee ihrem «wunderbaren Ehemann» gedankt. Also alles wieder gut? Scheint so. «Lemonade» ist auch kein Trennungsalbum. Im Gegenteil. Beyoncé gelingt, was sie mit dem Titel andeutet: Sie macht aus Zitronen Limonade und versucht damit dem Schmerz etwas Positives abzugewinnen. Das Album ist eigentlich zweigeteilt. Sechs der zwölf Songs drehen sich um den Betrug und zeichnen die verschiedenen emotionalen Phasen des Schocks nach. «Du bist nicht mit einer gewöhnlichen Schlampe verheiratet, Junge», erinnert Beyoncé ihren Ehemann. Als ob sie das nötig hätte. Statt in Selbstmitleid zu versinken oder mit stoischer Miene hinter ihrem betrügerischen Mann zu stehen, besinnt sich Queen Bey auf ihre Kultur, was den zweiten Teil des Albums dominiert. «Denn eine Gewinnerin gibt sich nie selber auf», singt sie.
Und so zelebriert sie auf ihrem Album und noch mehr im dazugehörigen Film afroamerikanische Weiblichkeit. Dieses «visuelle Album» wurde in den USA auf HBO ausgestrahlt und ist nun bei iTunes und Amazon erhältlich. Die Videoclips der zwölf Songs werden durch die von Beyoncé vorgelesenen Texte der somalisch-britischen Lyrikerin Warsan Shire zusammengehalten. Die Worte der 27-jährigen Immigrantin prickeln wie Eiskristalle über den Rücken und hallen wegen ihrer eigenwilligen Sprachbilder noch lange nach. Der ganze Film feiert die afroamerikanische Kultur. Frauen, die zusammen leben, an langen Tafeln zusammen essen oder tanzen. Auch die Mütter der von weissen Polizisten erschossenen jungen Männer Michael Brown, Eric Garner and Trayvon Martin sind zu sehen, wie sie Porträts ihrer Söhne in die Kamera halten. Eingewoben werden Szenen aus New Orleans, der Stadt, die spätestens seit Hurrikan «Katrina» zum Inbegriff der Ungleichheit der Ethnien in den USA wurde.
Im letzten Stück ihres Albums, «Formation», stellt sie sich in die Tradition der «Black Is Beautiful»-Bewegung der 1960er: «Ich mag die Afro-Locken meines Kindes. Ich mag meine Negernase und die Jackson-Five-Nasenlöcher.» Auch musikalisch gibt das Album einiges her. Beeindruckend sind vor allem die Mitwirkenden: DJ Diplo hat an zwei Stücken mitgearbeitet, genauso wie Ezra Koenig, der Sänger von Vampire Weekend, Sänger The Weeknd, Musikproduzent James Blake und Rapper Kendrick Lamar, und auch Jack White war beteiligt. Er sampelte Led Zeppelin für «Don’t Hurt Yourself». Die Musikstile reichen von Pop über R & B bis zu Country für das Stück «Daddy Lessons». Viele Helden der afroamerikanischen Kultur sind gefallene Helden: Bill Cosby, O. J. Simpson, Michael Jackson. Im Film zitiert Beyoncé Malcolm X: «Die am wenigsten respektierte Frau, die am wenigsten geschützte Frau, die vernachlässigtste Frau Amerikas – ist die schwarze Frau.» Das ist heute noch bittere Realität in den USA. Immerhin gelingt es immer mehr Frauen, wie Oprah Winfrey und Michelle Obama, diesem Schicksal zu entrinnen. Auch Beyoncé gesellt sich zu ihnen – gewohnt sexy und neuerdings auch kämpferisch, notfalls mit einem Baseballschläger in der Hand.