Er ist Englands grösster Herzensbrecher

Hugh Grant begeistert in Komödien als charmanter, verklemmter Brite. Jetzt stellt er am ZFF seinen neuen Film, «Florence Foster Jenkins», vor und erhält den Golden Icon Award für seine Karriere.

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

Auf dem Weg zurück von den Malediven brach Hugh Grant plötzlich in Tränen aus. «Ich sass im Flugzeug und konnte während Stunden nicht aufhören zu weinen. Das ging noch drei Wochen so weiter», erzählte er kürzlich in der «Late Late Show with James Corden». «Und was hast du getan?», fragte Corden. «Ich besuchte einen Hypnotiseur.» – «Hat es etwas gebracht?» – «Natürlich nicht. Er sagte Dinge wie: ‹Du bist jetzt ganz entspannt.› Ich dachte nur: Ich bin überhaupt nicht entspannt. Ich bin so verkrampft wie eine Kröte. Aber ich bin viel zu Englisch, um ihm das zu sagen. Also sagte ich am Schluss: ‹Das war grossartig. Danke.›» 

Der 56-jährige Londoner hatte eigentlich nicht vor, Schauspieler zu werden. Als er in Oxford dank einem Stipendium Englisch und Kunstgeschichte studierte, machte er in Foto-Liebesgeschichten mit, um sein Taschengeld aufzubessern. Als sich bereits nach seiner ersten Rolle im Studentenfilm «Privileged» (1982) ein Agent bei ihm meldete, entschloss er sich, seine Doktorarbeit in Kunstgeschichte zu verschieben, um mit Film etwas Geld zu verdienen. «Aber weil ich so schlecht war, sagte ich mir, ich mach noch einen, um allen zu beweisen, dass ich es doch kann. Daraus wurden dann 35 Jahre», erzählte Grant in einem Interview mit der «Daily News». Der Brite ist so etwas wie der König der witzigen Anekdoten. «Er weiss, wie man eine Pointe setzt», sagt der Filmjournalist Mark Kermode über Grants Schauspielstil. 

Sie lieben oder sie hassen ihn

Das gilt auch für das öffentliche Auftreten des Briten. Er macht gerne ein Geheimnis aus seinem Privatleben und gibt immer nur gerade so viel preis, dass man das Gefühl hat, ihn etwas kennenzulernen, bevor er mit einer seiner Anekdoten wieder von sich ablenkt. Darum weiss man nur so viel: Mittlerweile hat der Junggeselle vier Kinder mit zwei verschiedenen Frauen, über die er selten spricht. Nur in Cordens Show erzählte er kürzlich unter hysterischem Gelächter des Publikums, wie er für seinen Sohn eine Geisterjägerin aufbot, weil der Kleine dachte, es spuke im Haus. 

Zur Presse hat Grant ein angespanntes Verhältnis. «Er prüft jede Frage wie ein Bombenentschärfungsexperte», schrieb eine Journalistin im «Guardian» über Grants Verhalten während eines Gesprächs. Seit 2011 sitzt er im Vorstand der Initiative «Hacked Off», die von vielen Prominenten unterstützt wird. Nach mehreren Abhörskandalen und der Schliessung der Sonntagszeitung «News of the World» kämpft die Initiative für eine bessere Kontrolle der Boulevardpresse in Grossbritannien. 

Wer mit Hugh Grant gearbeitet hat, liebt oder hasst ihn offenbar. Sandra Bullock, mit der er in «Two Weeks Notice» (2002) spielte, sagte über ihn: «Auf einem Filmset mit hundert Leuten konnte er jeden beim Namen nennen.» Und über seine Mitarbeit in «Sense and Sensibility» (1995) sagte Emma Thompson: «Er übernahm die Rolle für eine kleine Gage, weil er nett ist.» Von Drew Barrymore («Music and Lyrics») und Julianne Moore («Nine Months») hingegen gibt Grant freimütig zu: «Die hassen mich.» 

Worüber sich alle einig sind: Grant ist ein Arbeitstier. Viele beschreiben ihn als Perfektionisten mit Hang zur Kontrolle. «Er liess uns keinen Moment Ruhe. Er war nie zufrieden», erzählte Bullock. Grant gibt selber zu, sich in alle Aspekte der Filmproduktion einzumischen: Er schreibe Anmerkungen zum Drehbuch, diskutiere mit dem Regisseur über die Position der Kamera und sei bei allen Test-Screenings dabei. Als die Pointe aus einem Filmclip zu «Did You Hear about the Morgans?» herausgeschnitten wurde, der in der «Daily Show with Jon Stewart» lief, bekam er einen Wutanfall. Was wiederum Stewart dazu brachte, öffentlich zu erklären, Grant sei sein unliebsamster Gast gewesen: «Und ich habe Diktatoren interviewt.» Grant gibt zu, dass Stewarts Beschreibung der Szene korrekt ist. 

Das ist vielleicht das Erfrischendste am Briten: Er sucht für sein Verhalten keine Ausreden, er steht zu allen Fehltritten – bevor er sie für die nächste Pointe ausschlachtet. Als er 1995 beim Sex mit einer Prostituierten verhaftet wurde, sprach er bereits wenige Tage später bei Jay Leno zerknirscht darüber, dass die Leute alle möglichen psychologischen Erklärungen für sein Verhalten fänden. «Aber das ist Blödsinn», sagte er, «denn eigentlich ist es so: Du weisst, was gut und was schlecht ist. Und ich habe etwas Schlechtes getan. So einfach ist das.» Natürlich entzieht er sich mit dieser entwaffnenden Ehrlichkeit einer Erörterung der Gründe für sein Verhalten und damit einer Analyse seiner Person. Während er offen über Fehltritte, den Nervenzusammenbruch im Flugzeug oder Panikattacken auf dem Filmset spricht, folgt eine das Tragische ins Lustige verkehrende Pointe meist so schnell, dass weiteres Nachfragen im Gelächter des Publikums untergeht.

Über Grants Freunde ist wenig bekannt, umso mehr dafür über seine beste Freundin Liz Hurley, mit der er eine zwölfjährige Beziehung führte. Die beiden erklären, dass der jeweils andere die wichtigste Person im eigenen Leben sei. Auf die Gründe für das Ende der Beziehung angesprochen, sagte Hurley: «Er hat mich unglaublich genervt. Ich liebe ihn. Aber er kann so mürrisch sein. Meine Freunde nannten ihn Grummelstilzchen.»

Jetzt kommt Hugh Grant ans Zurich Film Festival und stellt seinen neuen Film «Florence Foster Jenkins» von Stephen Frears vor. Die Komödie erzählt die wahre Geschichte der exzentrischen Millionärin Foster Jenkins (Meryl Streep), die als schlechteste Sängerin aller Zeiten im New York der 1930er Kultstatus erlangte. Jenkins’ jüngerer Lebenspartner (Grant) wiederum war ein gescheiterter Schauspieler, der für sie eine Parallelwelt kreierte. Penibel wachte er darüber, dass nur eingefleischte Fans Tickets zu ihren Konzerten erhielten. Und er bestach Musikkritiker, um seine Frau im Glauben zu lassen, sie könne wirklich singen. Frears sagte: «Ich fand schon immer, dass Grant ein brillanter Schauspieler ist. Aber ich habe keine Ahnung, warum er die Filme macht, die er macht. Nicht dass ich diese gesehen hätte.» 

Er wird unterschätzt

Bekannt geworden ist Grant mit Komödien wie «Four Weddings and a Funeral» (1994) oder «Notting Hill» (1999). Mit der Rolle des Charles im Ersteren wurde er zum Inbegriff des charmanten, verklemmten und ironischen Briten. Über die Jahre hat er diesen Typus in unzähligen weiteren Filmen verkörpert. Seine Person verschmolz im Auge der Öffentlichkeit mit dieser Rolle, obwohl er unablässig betonte, kein Charles zu sein. Dass er in diesen Komödien mitwirkte – wobei sich gute und schlechte etwa die Waage halten –, muss der Hauptgrund dafür sein, dass man sein schauspielerisches Können gerne unterschätzt. Dabei sagte Grant in einem Interview mit dem «Hollywood Reporter»: «Es ist verdammt schwierig und unglaublich technisch, eine Komödie zu machen. Bei einem Drama gibt es viele Schattierungen, bei einer Komödie gibt es nur Schwarz und Weiss. Entweder man bringt das Publikum zum Lachen oder nicht. Und das ist furchterregend. Warum denken die Leute, intensiv, düster und unglücklich sei besser als leicht, unterhaltsam und erbaulich?»

Während er zugibt, mehr Komödien gemacht zu haben, als er vorhatte, sagt er zu seiner Rollenauswahl auch: «Wenn mich ein Drehbuch überzeugt, mache ich im Film mit.» Und dabei kennt der Brite seine Fähigkeiten: «Verbal bin ich stark. Aber was ich wirklich fürchte, sind diese Juliette-Binoche-artigen französischen Filme, wo die Kamera auf dein Gesicht zoomt und du ohne Text von glücklich zu weinend wechseln musst. Da mache ich mir in die Hose.» Trotzdem wagte er immer wieder den Schritt aus seiner Wohlfühlzone heraus – zuletzt, als er in «Cloud Atlas» (2012) fünf weiteren Rollen den Häuptling eines Kannibalenstammes spielte. Ganz ohne Text. Und obwohl er auch auf dem Set eine Panikattacke hatte, hat sich die Arbeit gelohnt. 

Das Gleiche gilt für seine neueste Rolle. Seine berührende Darstellung des treu ergebenen Partners von Foster Jenkins zeigt seine breiten dramatischen Fähigkeiten – etwa wenn er an ihrem Bett sitzt und sich auf seinem Gesicht Sorge und Liebe spiegeln, während andere Szenen genug Platz für sein komödiantisches Talent bieten. «Nach zwanzig Jahren habe ich meine Lieblingsart von Film gefunden. Es ist diese Kombination aus Komödie und Drama wie ‹Florence Foster Jenkins›.»Hugh Grant wird am 27. 9. im Kino Corso 1 mit dem GolGolden Icon Award asugezeichnet.

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