Nichts ist ihnen peinlich

Die Lemon Twigs mischen alles, was die sechziger und siebziger Jahre hergeben, und haben damit Erfolg.

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

Sie wirken wie aus einer anderen Welt: Zeitreisende, die wie durch Zufall in der Gegenwart gelandet sind und jetzt etwas deplaciert im Raum stehen. Ihr Aussehen, ihre Musik, sogar ihre höflichen Manieren weisen auf Vergangenes zurück. Besonders der jüngere Michael, gerade einmal 17 Jahre alt, sieht aus wie ein Mitglied der Bay City Rollers. Fröhlich, aber auch ein wenig so, als hätte sich ein Farbkasten über ihm übergeben. Zu Schuhen mit Schachbrettmuster trägt er grün-rot karierte Hosen und ein weisses Hemd mit roten Punkten. Die von Rod Stewart inspirierte Vokuhila-Frisur runden bräunlich abgedunkelte Brillengläser und ein roter Lippenstift ab. Michael hält stets den Mund ein wenig geöffnet, wenn er mit der Hand auf der Hüfte keck in die Kamera schaut, und am Schlagzeug tobt er sich aus wie der Drummer der Muppet Show. 

Dagegen wirkt Bruder Brian, 19, mit seiner schlichten schwarzen Jeans, dem hellblauen T-Shirt und dem roten Cordblazer wie ein blasser Hipster. Selbst seine Frisur sieht so brav aus wie aus den achtziger Jahren, als man Kindern noch eine Suppenschüssel über den Kopf gestülpt hat, um ihnen die Haare zu schneiden. Er wirkt ruhiger und reflektierter, und seine Antworten sind weniger impulsiv als die seines Bruders. 

So abgedreht ihr Kleiderstil ist, spätestens wenn man ihre Musik hört, nimmt man die beiden ernst. Die Boys aus einem Kaff auf Long Island, 45 Minuten von New York City entfernt, klingen wie die Beatles zu Zeiten von «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band», gekreuzt mit den Beach Boys und einem guten Schuss Glam Rock der Siebziger von Bands wie T. Rex. Die Songs haben eine perfekte Mischung aus intelligent-ausgeklügelt und schrullig-skurril. Oder wann hat man das letzte Mal ein Xylophon-Solo in einem Rocksong («These Words») gehört? Eben. Und dann noch eines, das klingt, als wäre Rumpelstilzchen in einem Tobsuchtsanfall über das Schlaginstrument gehüpft. 

Lieblingsband von Elton John

Mit dem Song haben Michael und Brian, die sich «Lemon Twigs» nennen, in den USA vor gut einem Monat auch das Talkshow-Publikum von Jimmy Fallon begeistert. Daraufhin twitterte Questlove über die Band, und auch Elton John war voll des Lobes und bezeichnete sie in seiner iTunes-Radioshow «Rocket Hour» als seine neue Lieblingsband. 

«These Words» stammt von ihrem Album «Do Hollywood». Strenggenommen ist das bereits ihr zweites. Das erste «What We Know» haben sie auf dem 8-Spur-Tonträger ihres Vaters, einem Musiklehrer, im Keller aufgenommen und gerade einmal 100 Kassetten davon unter die Leute gebracht. Da waren sie 15 und 17 Jahre alt, und ihre Musik klang noch etwas mehr nach psychedelischem Rock. 

Damals schrieben sie auch die Songs für das neue Album, das sie im Februar 2015 mit Produzent Jonathan Rado in Kalifornien einspielten – zehn Songs in zwölf Tagen. Damit keine Eifersucht aufkam, steuerte jeder fünf bei. In den folgenden Monaten fügten sie dann mittels Overdub mehr und mehr Instrumente hinzu. Brian spielte Gitarre, Bass, Keyboard, Trompete, Violine und Cello, während Michael lange «nur» am Schlagzeug sass. «Wir haben beide mit fünf Schlagzeug spielen gelernt. Mit sieben kamen bei mir Gitarre und andere Instrumente dazu. Michael konzentrierte sich bis 13 aufs Schlagzeug. Dann hatte er eine Nirwana-Phase und lernte Gitarre spielen», erzählt Brian in einem Interview mit dem «Guardian». 

Während andere Kinder noch Comic-Bücher lasen, spielten die beiden bereits als Kinder in Theaterstücken am Broadway und in Hollywood-Filmen mit, traten mit ihren Schulbands auf oder komponierten Rap-Songs, wie man auf Youtube sehen kann. «Wir kommen aus einer kleinen Stadt, dort gibt es nicht viel zu tun, ausser zur Schule zu gehen und Musik zu machen», sagt Michael. 

Und so klingt das Album «Do Hollywood» nach einer Band, die über ein fast lexikalisches Musikwissen der sechziger und siebziger Jahre verfügt, aber auch über die Freiheit der Jugend, der nichts peinlich ist und die alles ausprobiert. Auf die Frage, warum sie so retro klängen, sagte Brian dem «Guardian»: «Wir versuchten nicht, verkrampft ausgeklügelte Musik zu machen. Wir wollten einfach, dass es hübsch klingt.» Der Song «Haroomata» beginnt mit einem andächtigen Cembalo-Intro, steigert das Tempo, bis man an eine Zirkusband denkt, der die Kontrolle entgleitet, bevor Brian mit ruhiger Stimme wieder für Ruhe sorgt. 

Lebhafte Bühnenschau

Eingespielt haben die Brüder die Platte allein. Auf der Bühne erhalten sie Verstärkung von Megan Zeankowski am Bass und Danny Ayala am Keyboard. Sie selbst wechseln sich an Gitarre und Schlagzeug ab. Dabei muss sich vor allem Megan öfter vor Michaels hohen Kicks in acht nehmen. «Ich spiele nicht so gut Gitarre wie Brian und fühle mich unsicher, wenn ich mich nicht gut genug bewege. Kicks sind so ziemlich die einzigen Bewegungen, die du auf der Bühne machen kannst, wenn du gleichzeitig noch Gitarre spielst», sagt Michael. Gut, dass sie dazu die passende Musik gefunden haben.

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