
Während sich die Liebeskomödie im Kino totgelaufen hat, widmen sich romantische Comedy-Serien im TV auf bösartige und herzzerreissende Art dem Alltag.
Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)
Er hat soeben versucht, die Hochzeit seiner Ex-Freundin zu ruinieren, und wird aus dem Hotel geworfen. Sie wiederum hat der Braut ein Geschenk vom Gabentisch geklaut. Und nun treffen beide vor dem Hotel aufeinander und beschliessen bei einer gemeinsamen Zigarette, die Nacht zusammen zu verbringen. So beginnt die Serie «You’re the Worst» (Du bist das Letzte).
Als sich beide postkoital mit kalter Pasta aus einer Tupperware-Box verköstigen und sie ihm erzählt, wie sie wegen Alkohol und Drogen am Steuer den Führerschein verloren hat, und er ihr beschreibt, wie sehr er seine Ex hasst, bemerkt er: «Bin ich froh, dass das eine einmalige Sache ist, so können wir all diesen Scheiss preisgeben.» Intimität ist schwierig auszuhalten, und Fremden beichtet es sich nun einmal leichter.
Während sich die Liebeskomödie im Kino totgelaufen hat, erfinden Liebeskomödien in Serienform das Genre gerade neu, wie «Die Zeit» kürzlich treffend schrieb. Das Spiel mit den Geschlechterrollen gehört da genauso dazu wie das Flickwerk moderner Beziehungen. Im Titelsong zu «You’re the Worst» singen sie: «Ich werde dich ohnehin verlassen.» Das ist nicht deprimierend, sondern der Freipass zum Ausprobieren-Dürfen.
Masturbieren zu Obama-Video
Vor allem aber widmen sich diese Serien dem Alltag – mit all seinen Tücken, Gemeinheiten, mit der unerwarteten Komik und überraschend zärtlichen Momenten. Fleabag (Flohfänger/Ekelpaket), die Protagonistin der gleichnamigen Serie, wird von ihrem Freund verlassen, weil sie zu Videos von Barack Obama masturbiert hat.
Weil sie bald niemanden mehr in ihrem Leben hat, mit dem sie sich austauschen kann, hat sie einen zärtlich-zerbrechlichen Moment mit einem Fremden, in dem die beiden sich ihre Wünsche erzählen, die simpler nicht sein könnten. «Ich will meine Frau umarmen und meine Kinder beschützen. Ich will saubere Tassen aus dem Geschirrspüler nehmen und sie im Schrank versorgen. Und am nächsten Tag will ich meiner Frau zusehen, wie sie aus einer sauberen Tasse Tee trinkt», verrät der Banker. Fleabag hat vor kurzem ihre beste Freundin verloren, ihr Wunsch klingt für sie aber unerreichbar: «Ich möchte weinen. Die ganze Zeit.»
Diese Serien schrecken vor emotionalen Abgründen und alltäglicher Einsamkeit nicht zurück, die Protagonisten haben oft einen Knacks. Ihnen wurde zu oft das Herz gebrochen, oder sie sind am Leben gescheitert. Es ist die «Generation Beziehungsunfähig», wie der Autor Michael Nast auch sein Buch zum Paarungsverhalten der Millenials genannt hat. Trotzdem versuchen sie immer wieder tapfer, menschlichen Kontakt herzustellen.
Die an Depression leidende Rebecca folgt in der Serie «Crazy Ex-Girlfriend» ihrem Ex-Freund von New York in die Kleinstadt West Covina, weil in einer Butterwerbung im Fernsehen gefragt wurde: «Wann waren Sie das letzte Mal wirklich glücklich?» Und ihr fiel nur die Antwort «Mit Josh» ein. Im Kaff angekommen, löchert sie einen seiner Freunde, während sie unmotiviert mit ihm flirtet. Er lädt sie zu einem Date ein, wobei er wie zu sich selbst sagt: «Du bist hübsch und intelligent, und du ignorierst mich, also bist du offensichtlich mein Typ.» Abgelenkt fragt Rebecca: «Was?» Er antwortet: «Perfekt!»
In der Einförmigkeit des Alltags aber liegen Komik, Romantik und Tragik nahe beieinander und können von Moment zu Moment wechseln, das beherrscht die Serie «Catastrophe» auf virtuose Art. Sharon und Rob heiraten nach einer kurzen Affäre, da sie schwanger geworden ist. In der Hochzeitsnacht massiert Rob die geschwollenen Füsse seiner Frau. Und weil sich die Hochschwangere nicht mehr bücken kann, bietet er an, ihr auch noch die Fussnägel zu schneiden. Sie lehnt zuerst entsetzt ab, ist dann aber gerührt von der Geste und macht den Vorschlag, Sex zu haben. «Was ist los?», fragt sie auf sein Zögern hin gereizt. «Nun ja», antwortet er, «ich habe gerade meine Hand voll mit deinen Zehennägeln, das eignet sich nicht wirklich zum Vorspiel.» Wer könnte ihm da auch widersprechen? Die Szene endet im Streit.
Verlust der Unschuld
Aber für viele hat die Liebe längst ihre Unschuld verloren, aktuelle Scheidungsraten und kitschigem Hollywoodkino sei Dank. Und so schreit Gus in der Serie «Love» nach dem Liebesaus: «Beziehungen sind Schwachsinn. Aber niemand nimmt dich je auf die Seite, um dir das zu sagen. Also glaubst du weiter an die Lüge, dass eine Beziehung wächst und alles besser wird. Schuld daran sind diese Lieder und diese Filme.»
Umberto Eco hat einen Ausweg beschrieben. Im Nachtrag zu «Der Name der Rose» schrieb er, dass ein Mann in der Postmoderne einer Frau nicht einfach seine Liebe gestehen könne. Beide wüssten zu gut, dass diese Worte längst ihre Unschuld verloren hätten, weil sie so oft verwendet worden seien. Deshalb bleibt ihm nur die Anerkennung dieser Tatsache: «Der Mann sagt deshalb: ‹Wie jetzt Soundso sagen würde: Ich liebe dich.› Damit akzeptieren beide die Herausforderung der Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann. Aber beiden ist es gelungen, noch einmal von Liebe zu reden», so Eco.
Millenials wissen, dass es kein «Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage» gibt. Alle Schwüre einer Ewigkeit wären geheuchelt. Die Romantik liegt nicht in einem unhaltbaren Versprechen, sondern im Anerkennen der Tatsachen. Das erlaubt es, von Liebe zu reden. Deshalb findet sich die berührendste Szene der gegenwärtigen Fernsehgeschichte am Ende der ersten Staffel von «You’re the Worst». Jimmy und Gretchen haben eingewilligt zusammenzuziehen. «Mist, wir machen das wirklich. Obwohl wir beide wissen, dass das nur auf eine Art enden wird, in fürchterlichem Schmerz und Traurigkeit», sagt Gretchen. Worauf Jimmy antwortet: «Gott, ich liebe es, wie du denkst.»