Männerfreundschaften

Sick Boy (Jonny Lee Miller) und Renten (Ewan McGregor) nach 20 Jahren wieder vereint.

Danny Boyle schafft es, mit «T2 Trainspotting» nicht nostalgisch zu werden. In der Neuauflage des Kulthits der neunziger Jahre wirft er einen frischen Blick auf die bösen Buben.

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

«Was hast du die letzten 20 Jahre gemacht?», fragt Sick Boy seinen besten Freund Mark Renton, als dieser überraschend die schäbige Bar betritt. So lange ist es her, seit die beiden Junkies zusammen mit ihren Freunden Spud und Begbie zum peitschenden Beat von Iggy Pops «Lust for Life» durch die Strassen Edinburgs gerannt sind – auf der Flucht vor einem bürgerlichen Leben. Und so lange ist es auch her, seit Renton seine Freunde nach einem Drogendeal abzockte und mit dem Geld nach Amsterdam verschwand. Nun kommt er in «T2 Trainspotting» zurück und merkt bald: Wirklich etwas verändert hat sich hier nicht. 

1996, auf der Höhe des «Cool Britannia»-Hypes, als London Scharen von Partywütigen anzog und der Britpop mit Blur und Oasis seinen Zenit erreicht hatte, begeisterte «Trainspotting» Publikum und Kritiker gleichermassen. Der exzentrische visuelle Stil des bis dahin noch ziemlich unbekannten Regisseurs Danny Boyle in der Tradition von englischen Filmemachern wie Ken Russell («Tommy») und Nicolas Roeg («Don’t Look Now») elektrifizierte seine Zuschauer. Legendär bleibt die Szene, als Renton im schlimmsten Klo Schottlands zwei wegen Diarrhö verlorene Opiumzäpfchen aus einer eklig braunen Toilettenschüssel fischen muss. Dass die Sauerei mit Schokolade angerichtet wurde, mag heute beruhigen. 

Der Streifen wurde bald Kult, genauso wie der aus Punk, Britpop und Techno bestehende Soundtrack sowie das orangefarbene Poster von Rentons «Choose Life»-Monolog. Irvine Welsh, Autor der Romanvorlage, hatte sich dabei von einer Anti-Drogen-Kampagne der achtziger Jahre inspirieren lassen: Sag ja zum Leben im Gegensatz zum langsamen Tod durch Drogen. Aus Rentons Mund wurde sie zu einer beissenden Konsumkritik: «Sag Ja zum Leben, einer Karriere, einem verdammt grossen Fernseher, einem elektrischen Dosenöffner . . .» 

Harte Zeiten in England

Margaret Thatcher hatte in den Jahren zuvor ihr Land auf Neoliberalismus getrimmt, an dessen sozialem Leben nur teilhaben konnte, wer das Geld hatte, um zu konsumieren. Doch nun formierte sich Widerstand. Keine Studenten-WG durfte sich als solche bezeichnen ohne das Poster von Rentons Monolog, dessen Inhalt die meisten auch noch im betrunkenen Zustand herunterrasseln konnten. Es war die Stimme des Rebellen, des Verweigerers, des Punks. Im Zentrum des Films standen aber auch Männer und ihre Beziehungen zueinander.

Väter waren meist abwesend, und als Vorbilder taugten sie erst recht nicht. Der Drogendealer «Mutter Oberin» empfing seine Schäfchen mit einer Tüte Toastbrot und einer gut gefüllten Spritze Heroin in einer Art pervertierter Form von Fürsorglichkeit. Begbie schlug aus Frustration über seine unterdrückte Homosexualität Männer brutal zusammen, Sick Boy liess in seinem Drogenrausch seine kleine Tochter verenden. Ob- wohl ihre Freundschaft schon seit dem Kindergarten bestand, reichte ihre Loyalität meist nur bis zum nächsten Schuss. Schliesslich war sich jeder selbst der Nächste. Ein treffendes Bild für die achtziger Jahre. Einen Film geschaffen zu haben, der für eine Dekade steht, ist für eine Fortsetzung eine schwere Hypothek. Die Erwartungen sind oft so überzogen, dass sie jeden Film unter sich begraben können. Boyle weiss, dass er dem Schatten des Originals nicht entfliehen kann, und spielt deshalb immer wieder liebevoll darauf an. Als Renton von Begbie verfolgt durch Edinburg rennt, wird auch die Eröffnungsszene des ersten Films eingespielt, in der Renton und Spud vor zwei Ladendetektiven flüchten mussten. Es ist ein konstantes Nicken in die Richtung des Publikums: «Wisst ihr noch?» Ach, und wie!

Gewicht der Erinnerung

Aber es ist keine eigentliche Nostalgie, die den Film beherrscht, obwohl Sick Boy dies seinen Freunden vorwirft, als er sie als Touristen ihrer eigenen Jugend bezeichnet. Vielmehr wissen der Film und mit ihm seine Figuren um ihre Wurzeln. Und so kommt zum ersten Mal Leben in ihre Freundschaft, als Renton und Sick Boy wie früher mit dem Gesetz in Konflikt kommen, als sie in einem Pub Portemonnaies klauen, damit Sick Boy das Startkapital für ein Bordell hat. 

Vor allem aber geht es ums Älterwerden. Der koksende Sick Boy arbeitet jetzt als amateurhafter Zuhälter, der die Freier seiner Freundin erpresst und sich über Rentons Rückkehr freut, weil er ihn aus Rache für den Verrat zurück in den Drogensumpf ziehen will. Spud hat seinen Job verloren, weil er mit der Umstellung auf die Sommerzeit nicht zurechtkam, weshalb er nun auch seinen Sohn nicht mehr sehen darf und sich überlegt, allem ein Ende zu setzen. Begbie lässt sich im Gefängnis verletzen, um dann aus dem Spital zu fliehen und sich an Renton für dessen Betrug zu rächen. Renton hat immerhin so etwas wie eine bürgerliche Idylle erschaffen, aus der er aber eher unsanft getreten wird, als seine Frau ihn verlässt und ihm die Kündigung droht. 

«Sag Ja zu unerfüllten Versprechen und dem Wunsch, du hättest alles anders gemacht. Sag Ja zur Aussöhnung mit dem, was du haben kannst, anstelle vom dem, was du dir immer erhofft hattest», sagt Renton im aktualisierten «Choose Life»-Monolog. 

Schliesslich aber sind es nicht Renton und die Nostalgie, die im Mittelpunkt stehen, sondern die Bedeutung von Erinnerungen. Nun wird Spud, der ewige Verlierer, der selbst unter seinen Aussenseiterfreunden ein Sonderling ist, zur Hauptfigur. Wie der Film zeigt, ist er der Herzschlag seines Freundeskreises und damit auch der Geschichte. Am Ende ist es Spud, der Worte findet für das, was war, und damit die Brücke schlägt zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass sich nicht alle Träume erfüllen lassen, aber dass es immer den Weg zurück gibt, dahin, wo alles begann, und dass gewisse Beziehungen, egal wie destruktiv sie sind, Bestand haben, weil man sich kennt, weil man sich nichts mehr beweisen muss. Und das berührt.

Der Soundtrack zum Film Starke Remixes 

Schon der Soundtrack zu «Trainspotting» war eine Kombination aus einem Blick zurück auf den Punk der siebziger Jahre, aktuellem Britpop und einem Ausblick auf den sich entwickelnden Techno. Die Musik zu «T2» glänzt mit Remixes der Klassiker, zeitgenössischer Musik der Young Fathers und der Fat White Family, aber auch experimentellerer Musik von den Rubberbandits und ihrem phantastischen Stück «Dad’s Best Friend». Murièle Weber

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