Sie feiern die Nacht

Bild: flickr / Vladimir

Die New Yorker Hipster-Band Hercules & Love Affair legen mit «Omnion» ein wunderbares Album vor, das Lust zum Tanzen macht.

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

Andrew Butler macht Musik für die Nacht: tanzbar, wehmütig und mit einem tragenden Beat. Die Stücke des kreativen Kopfes der US-Band Hercules & Love Affair beschwören die farbigen Nächte der Discozeit des New Yorker Nachtklubs Studio 54 herauf, als die Party endlos erschien und alle irgendwie gleich waren. Aber so ganz scheint er sich selber nicht zu glauben, denn immer schwingt auch eine Melancholie mit, die nur allzu menschlich ist: Wie wenn im Rausche der Feier plötzlich die Lichter angingen und jeder unter dem zerlaufenen Make-up des anderen die eigene Unsicherheit widerspiegelt sähe. So klingt das Titelstück «Omnion», in dem die Amerikanerin Sharon Van Etten mit bald fragiler, bald kräftiger Stimme an eine übersinnliche helfende Macht appelliert.

Für den Tonkünstler Andrew Butler ist die Nacht ein Versprechen, wie es wohl jeder Nachtschwärmer gerne glauben möchte. Aber für den schwulen Jungen aus einer problemreichen Familie war sie vor allem auch Zufluchtsort und Gegenwelt. Bereits mit fünfzehn Jahren legte er als DJ in einer Lederbar in seiner Heimatstadt Denver auf. Als das Lokal von der Polizei kontrolliert wurde, versteckte er sich in der Toilette. Diese Kindheit hat er im Track «Blind» verarbeitet, den Anohni von Antony and the Johnson einsang und der 2008 von verschiedenen Musikzeitschriften zum besten Song des Jahres gekürt wurde.

Butler hat immer Persönliches in seine Musik einfliessen lassen und die vielen Musiker, die auf seinen Alben mitwirken, zu gleichem ermutigt. 2011 verarbeitete John Grant in «I Try To Talk To You» auf dem Vorläuferalbum «The Feast of the Broken Heart» seine HIV-Ansteckung. In «Fools Wear Crowns» besingt Butler seine eigene Drogen- und Alkoholsucht und muss sich selber eingestehen, dass er ein Idiot war, als er deswegen über Monate immer wieder in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Es ist der einzige Song, den Butler auf dem neuen Album «Omnion» selber singt. Und dieses Stück berührt am meisten, nicht der Thematik wegen, sondern weil die Musik seine heiser gesungene Beichte nur sanft pulsierend unterstützt, aber nie überdröhnt. 

Anders als auf dem Vorläufer experimentiert Butler auf seinem vierten Album stärker. Er bleibt seinem Mix aus Untergrund-Disco der siebziger und frühem Chicagoer House der achtziger Jahre treu. Aber in «Controller» webt er auch Synthesizerklänge aus New-Wave-Zeiten hinein. Faris Badwan, der Sänger der Garage-Rock-Band The Horrors, singt die Zeilen zu gleichen Teilen verführerisch und dominant. So als wolle er Beherrscher und Unterworfener gleichzeitig sein. 

In «Rejoice» setzt Butler auf die harten Beats der Industrial Music. Dazu passt die kräftige Stimme von Rouge Mary, dem zweiten Mitglied der Band, die über die stürmischen Klänge kratzt. In «Are You Still Certain» hat Butler mit der libanesischen Gruppe Mashrou’ Leila zusammengearbeitet, die der Musik arabische Worte und einen orientalischen Singsang verleiht, die an durchtanzte Nächte in Beirut erinnern. 

Grossartige Kunst ist selten einseitig. Und so lässt sich auch «Omnion» auf zwei Arten geniessen. Die Musik der New Yorker hält ihr Versprechen, sich tanzend mit anderen schwitzenden Körpern in der bunten Finsternis zu verlieren, aber wenn das Licht angeht, lässt sie einen nicht allein und hat noch immer etwas von Bedeutung zu erzählen.

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