
Freiheit gegen arrangierte Ehe: Das belgische Drama «Noces» ist unser Tipp für das Human Rights Festival in Zürich.
Von Murièle Weber (Züritipp)
Bevor das Leben beginnt, soll es schon wieder vorbei sein. So jedenfalls empfindet das Zahira. Sie ist 18 und hat von ihren pakistanischen Eltern die Fotos von drei Männern bekommen. Sie darf wählen, so grosszügig sind die Eltern. Aber einen der drei muss Zahira in den nächsten Wochen heiraten, da gibt es keine Widerrede, denn sie ist schwanger von ihrem Freund. Aber der will sie nicht heiraten. Deshalb soll sie so schnell wie möglich abtreiben lassen, symbolische 2.50 Euro kostet das in Belgien. Aber Zahira will jung sein und auskosten, was das Leben in Europa zu bieten hat.
Die Geschichte klingt abgelutscht: Traditionelle und westliche Welt kollidieren miteinander, und die Frau ist das Opfer. Aber Regisseur Stephan Streker gibt sich sehr viel Mühe, die Motivationen der Figuren herauszuarbeiten: den Freiheitsdrang der Tochter, die Sorgen der Eltern, die Verzweiflung des Bruders. Streker sagt, er wollte eine griechische Tragödie schaffen, in der die Situation monströs ist, nicht aber die Figuren. Keinen Bösewicht solle es in seinem Film geben, so der Regisseur – obwohl am Ende das Böse dann doch in seiner menschlichen Form auftaucht. Vor allem aber zeigt «Noces», dass Immigration ohne Assimilation zu unerträglichen Spannungen führen kann, an der die zweite Generation schmerzhaft zerbricht.
Für Kameramann Grimm Vandekerckhove ist es der erste Film; trotzdem findet er immer wieder einen interessanten Blickwinkel auf die Geschichte, zum Beispiel, wenn er bei der Abtreibung lediglich Zahira zeigt und das Spitalpersonal bloss zu hören ist. Auch die Schauspielerin Lina El Arabi in der Hauptrolle ist ein Neuling. An ihr hängt der ganze Film; sie ist fantastisch in den lauten und den leisen Szenen und in allen dazwischen.