Fang mich – wenn du kannst

In «Killing Eve» jagt eine britische Agentin eine russische Auftragsmörderin durch Europa. Die Regisseurin Phoebe Waller-Bridge beweist, dass auch weiblich besetzte Agententhriller funktionieren. Die Serie gehört zu den Highlights dieses Jahres.

Von Murièle Weber (FRAME)

Die Macher von «Killing Eve» lieben ihre exzentrischen Figuren. Darum verstecken sie deren Schwächen nicht, sondern zerren sie genüsslich ins Scheinwerferlicht. So kämpft die Agentin Eve (Sandra Oh) in einer morgendlichen ­Sitzung auf dem Dezernat ungeduldig mit einem lauten Papiersack, statt sich das Croissant heimlich in den Mund zu schieben. Währenddessen inszeniert die Mörderin Villanelle (Jodie Comer) ihren Selbstmord; aus purer Langeweile, und weil sie ihren Vorgesetzten Konstantin (Kim Bodnia) schockieren will. 

Solche Kapriolen haben wir der grossartigen Autorin und Regisseurin Phoebe Waller-Bridge zu verdanken. Zurzeit hört man sie in «Solo: A Star Wars Story», wo sie dem Roboter L3-37 ihre Stimme lieh. Die 32-jährige Londonerin hatte ihren Durchbruch 2016 als Autorin und Hauptdarstellerin mit der Serie «Fleabag». Darin beschreibt sie das Leben einer jungen Frau, deren Leben aus den Fugen gerät, nachdem ihre beste Freundin aus Versehen Selbstmord begangen hat. Eigentlich wollte sie sich bloss verletzen, um ihren untreuen Freund zu bestrafen. Waller-Bridge paarte für die Comedy-Serie den Blick in tiefste seelische Abgründe mit bitterbösem Humor. «Wenn die Menschen lachen, sind sie verletzlich und offen. Das ist eine gute Gelegenheit, um sie zu treten», beschreibt sie ihren Schreibstil in einem Interview. Deshalb liegen in Waller-Bridges Serien Empfindsamkeit und Boshaftigkeit stets nahe beieinander. Für «Fleabag» erntete sie einen Bafta-Award als beste Schauspielerin und wurde schnell zum Liebling der britischen Fernsehmacher, von Kritikern und vor allem des Publikums. 

Damit kam sie der Chefin von BBC America gerade recht: Sarah Barnett war auf der Suche nach einer Serie, die sich vom Rest abhebt und beim Publikum landen kann, ohne dass man sie davor gross anpreisen muss. Barnett lag mit «Killing Eve» genau richtig. Tatsächlich kam die achtteilige erste Staffel so gut an, dass sich die Zuschauerzahl auf BBC America schon kurz nach dem Start verdoppelt hat. 

Erotisches Katz-und-Maus-Spiel

«Bei der Entwicklung gaben wir Phoebe immer wieder den Rat: Bleib schräg», erzählte Barnett in einem Interview. Und so nahm Waller-Bridge ihre Vorlage, die «Villanelle»-Romane von Luke Jennings, die er im Selbstverlag auf Amazon veröffentlicht hatte, und tauschte zuerst einmal alle wichtigen männlichen Figuren durch Frauen aus. Sie schrieb unzählige absurde Dialoge, um ihren Figuren Charakter zu geben, und durchzog alles mit ihrem schrägen Humor. Entstanden ist ein brillantes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Eve und Villanelle. 

Eve, bis jetzt administrative Angestellte beim britischen Inlandgeheimdienst MI 5, wird kurzerhand zur Agentin mit eigenem Team befördert, weil sie herausgefunden hat, dass scheinbar zusammenhangslose Morde auf das Konto derselben Person gehen und dass eine Frau die Täterin ist. So erklärt Eve selbstbewusst: «Der ermordete russische Politiker war ein Frauenhasser und verantwortlich für den Handel mit Prostituierten. Der hätte in einer Frau niemals eine Gefahr gesehen. Es muss also eine Mörderin gewesen sein.»

Mit genau dem Vorurteil, dass man Frauen nicht zutraut, einen Job in diesem Männergeschäft gut ausführen zu können, arbeitet Waller-Bridge wiederholt in «Killing Eve». So erklärt die Kollegin Carolyn der Chefin Eve: «Unsere Ehemänner glauben eher, dass wir eine Affäre haben, als dass wir Geheimagentinnen sind.» Und Phoebe Waller-Bridge erinnerte sich in einem Interview: «Es gab tatsächlich eine Sitzung, in der jemand sagte: ‹Wir können nicht zu viele Frauen in der Serie haben.› Womit er meinte, das wirke unglaubwürdig. Und ich sagte: ‹Was für ein Scheiss. Nicht wenn die Serie gut geschrieben und gut inszeniert ist.›» Wie recht sie hat. Niemand käme auf die Idee, Eve und Villanelle müssten Männer sein. Die Figuren überzeugen mit ihrer verkorksten Art und ihren Motiven: Eve ist gelangweilt vom Alltagstrott und lebt auf, sobald Villanelle auftaucht. Sie ist offensichtlich fasziniert von der Arbeit der Russin, die ihre Opfer bald mit einer Haarnadel ersticht, bald mit Parfum vergiftet. «Ich bin ein Fan», gesteht sie Carolyn einmal. «Die Frau überlistet die Intelligentesten von uns und dafür verdient sie es, zu töten, wen sie will. Solange nicht ich es bin.» Aber genau das plant Villanelle schon bald, die ganz entzückt ist von der Aufmerksamkeit, die sie von Eve und deren Team bekommt. 

Villanelle kostet dieses Gejagtwerden aus und verwickelt die Agentin darum in ein Psychospiel. Einmal klaut sie Eves Koffer und schickt ihn ihr gefüllt mit edlen Markenkleidern wieder zurück. Zuerst ist Eve verängstigt, dann schmeisst sie sich doch in die neuen Fummel. «Eve und Villanelle hauchen einander gegenseitig Leben ein, und das auf eine Art, die viel komplexer ist als eine romantische Beziehung. Es ist sexuell, es ist intellektuell, es ist anspornend», beschreibt Waller-Bridge ihre Figuren. Diese sexuelle Spannung zwischen den beiden Frauen intensiviert sich im Verlaufe der Jagd. Zu Beginn spielt die Serie mit dem Bromance-Klischee vieler Buddy-Filme wie in der «Lethal Weapon»-Reihe mit Danny Glover und Mel Gibson – diesem Typus der engen, nicht sexuellen Freundschaft zweier Menschen gleichen Geschlechts, die sich oft durch flirtenden Sprachwitz auszeichnet.

Später, wenn Eve Villanelle retten will oder Villanelle bei Eve einbricht, um mit ihr zu Abend zu essen, folgt eine emotionale Intimität zwischen den Frauen, die an «Thelma & Louise» erinnert. Gegen Ende schwingt dann etwas unverhohlen Sexuelles mit, wobei man nie sicher sein kann, ob die beiden gleich einander küssend aufs Bett fallen oder sich duellieren werden.

Die Stärke von Waller-Bridge ist aber nicht nur, exzentrische Figuren zu erschaffen, sondern genauso das Schreiben von absurden Dialogen. Als Eve Villanelle auf die Spur kommt, weil ein Zeuge diese als flachbrüstig bezeichnet hatte, ruft sie ihre Assistentin Elena an und befiehlt: «Beschreib mir die Brüste aller weiblichen Auftragsmörderinnen in unserer Datenbank.»

Hommage an unangepasste Frauen

Während Villanelle in den Romanen von Luke Jennings eine traurige Kindheitsgeschichte angedichtet bekam, hat Waller-Bridge dieser Versuchung widerstanden. «Ich mag Serien über Frauen, deren Schaden nicht erklärt wird», sagte sie. «Villanelle ist einfach eine eigenständige, komplizierte Person, die Probleme hat.» Wir wissen deshalb nicht viel über sie, ausser dass sie eine Psychopathin ist.

Während die Frauen brillieren, kommen die Männer in «Killing Eve» nicht gut weg. Entweder übersehen sie vor lauter Überheblichkeit das Wesentliche oder lassen sich übertölpeln. Oder sie werden hysterisch, wenn sie in Gefahr sind. Als Villanelle Frank nachsetzt, einem Mitarbeiter von Eve, rennt dieser kreischend über ein Feld, während Eve ihn am Telefon zu beruhigen versucht, damit sie ihn retten kann. Trotzdem ist «Killing Eve» nicht einfach eine weibliche Version des sonst sehr männlichen Spionagegenres, sondern eher der Beweis dafür, dass es keine Rolle spielt, welches Geschlecht die Figuren haben, solange Drehbuch und Schauspiel gut sind. 

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