Mit dem Serienmörder im Bett

So unschuldig sieht Joe Goldberg (Penn Badgley) bei hellem Tageslicht aus.

Liebesfilme propagieren ein übergriffiges Verhaltensmuster: Die neue Netflix-Serie «You» entlarvt Liebesfilme propagieren häufig ein übergriffiges Verhaltensmuster: Die neue Netflix-Serie «You» entlarvt das gekonnt und unterhaltsam. 

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

Filmwissenschaftlerinnen haben schon lange darauf hingewiesen: Romantische Komödien glorifizieren ein übergriffiges Verhalten. Noah (Ryan Gosling) in «The Notebook» droht sich umzubringen, wenn seine Angebetene sich weigert mit ihm auszugehen. Ted (Ben Stiller) in «There’s Something About Mary» engagiert einen Privatdetektiv um seine Jugendliebe aufzuspüren. Und Edward (Robert Pattison) in «Twilight» schleicht in der Nacht ins Zimmer von Bella, um ihr beim Schlafen zuzusehen.

Verhaltensweisen, die im richtigen Leben strafrechtlich relevant oder zumindest moralisch verwerflich sind. Ein Nein ist in dieser Logik nur die Vorstufe zum Ja und Stalking ein Ausdruck von Liebe. Diese Verhaltensweisen sind so tief in unserer Kultur als Ausdruck romantischer Liebe verankert, dass sie kaum je in Frage gestellt werden. Aber genau das entblösst die neue Serie «You» basierend auf dem gleichnamigen Buch von Caroline Kepnes.

Joe Goldberg, der Manager eines Buchladens, trifft in seinem Geschäft auf die bezaubernde Guinevere Beck, eine Literaturstudentin. Zwischen den Bücherreihen hindurch beobachtet er die junge Frau und lässt die Zuschauer als voice-over an seinem internen Monologe teilnehmen. «Deine Armreifen klirren, du magst offensichtlich Aufmerksamkeit. Gut, ich beisse an. Du entschuldigst dich schnell, offensichtlich ist es dir peinlich, dass du ein gutes Mädchen bist. Oh, du trägst keinen BH und du willst, dass mir das auffällt. Du hast genug Bargeld dabei, um das Buch zu bezahlen, aber du gibst mir deine Kreditkarte, offensichtlich willst du, dass ich deinen Namen kenne.»

Nach Feierabend setzt er sich auf seine Couch und googelt Guineviere Beck. «Alle deine Accounts sind auf öffentlich gestellt, du willst, dass man dich sieht. Natürlich entspreche ich dem.» Über ihre Fotos findet er ihre Adresse. Am nächsten Tag steht er vor ihrem Hauseingang: «Grosse Fenster hast du, offensichtlich willst du gesehen werden. Ein Vorschlag: Lass uns den Tage zusammen verbringen.» Über das Internet kennt er ihren ganzen Tagesablauf und folgt ihr unbemerkt aus sicherer Distanz überall hin.

Als sie einige Folgen später wie erwartet ein Paar werden, hat er bereits ihren damaligen  Freund umgebracht und ihre beste Freundin bedroht. In Guineveres Augen aber entpuppt er sich als der perfekte Partner, der ihr Frühstück ans Bett bringt und ihr den Rücken freihält, damit sie ihre Gedichte schreiben kann und dessen Motto es ist «für die Liebe mache ich alles» – buchstäblich.

Mit diesem doppelten Blick einerseits durch ihre Augen und andererseits durch die objektivere Kamera zusammen mit seinem internen Monolog schafft es die Serie das stalkerische Verhalten des Protagonisten von romantischen Komödien zu entlarven und gleichzeitig zu kommentieren. Dass Joe den Zuschauern abwechslungsweise als der perfekte Partner und der schlimmste Psychopath erscheint, ist dabei durchaus gewollt. Die passende Serie zur #metoo-Debatte.

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