
Im US-Western ist die Figur des Cowboy ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen. Die Serie «Yellowstone» verhilft ihm zu einem komplexen Comeback.
Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)
John (Kevin Costner), der Patriarch der Dutton-Familie, steht auf einem Feld seiner Ranch und blickt in die Ferne. So weit er sehen kann, gehört hier alles ihm. Langsam geht er auf den Horizont zu, bis er eins wird mit diesem Land, das er seit Jahrzehnten vor dem Einfluss anderer verteidigt. Dafür hat er gemordet, manipuliert und Leute in den Ruin getrieben.
So endet die erste Staffel der Serie «Yellowstone» von Taylor Sheridan, der sich mit den Drehbüchern zu Action-Thrillern wie «Sicario» (2015), «Hell and High Water» (2016) und «Wind River» (2017) einen Namen gemacht hat. «Yellowstone» und die drei Spielfilme, Sheridans sogenannte «Frontier-Trilogie», stehen in der Tradition des Westerns, dem uramerikanischsten aller Genres.
Seit den Anfängen des Kinos verhandelt die vergleichsweise junge Nation in dieser Filmgattung ihre Identität. Die Figur des Cowboys ist quasi ihr Spiegelbild. Solange die USA noch isolationistisch waren, war er ein rauer, aber moralisch zuversichtlicher Aussenstehender. Mit dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Figur zu einem allmächtigen Sheriff. Zwischen den fünfzigerund den siebziger Jahren, als Amerika seine Macht auf die halbe Welt ausdehnte, wurde der Cowboy düsterer und moralisch komplexer. Dann verlor der Western an Bedeutung und wurde erst mit der Verarbeitung der Anschläge auf die Twin Towerswieder wichtig.
Konflikte an der Grenze
In den letzten rund 15 Jahren sind die Cowboys weicher und vielseitiger geworden und haben sich damit gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst. Das widerspiegelt sich zum Beispiel im männlichen Liebespaar in «Brokeback Mountain» (2005) oder im afroamerikanischen Cowboy in «Django Unchained» (2012). In Serien schliesslich stehen immer mehr Frauen im Mittelpunkt, wie «Westworld» und «Godless» zeigen.
Aber warum ist es ausgerechnet der Western, der die Seele der Amerikaner zu ergründen sucht? Ende des 19.Jahrhunderts präsentierte der junge US-Historiker Frederick Jackson Turner seine Frontier-These, die besagt, dass der einzigartige Charakter seiner Landsleute durch die Erfahrung der Ausdehnung der Grenze – der Frontier – geformt worden sei: Für die ankommenden Europäer gab es an der Ostküste bald kein Land mehr, also machten sie sich gegen Westen auf, stellten sich der Wildnis, der Gesetzlosigkeit und den Indianern. Diese Erfahrungen machte sie in seinen Augen zu Amerikanern.
In den letzten Jahren hat der Western ein Comeback erlebt, aber niemand hat die Frage nach der Identität der USA so konsequent verfolgt wie Taylor Sheridan mit seiner «Frontier»-Trilogie und jetzt in «Yellowstone». Der Autor interessiert sich wie kein anderer für die Grenzerfahrungen seiner Protagonisten: «Sicario» spielt an der amerikanisch-mexikanischen Grenze, stellt politische und ethische Fragen zum Umgang mit dem Drogenschmuggel und thematisiert damit explizit auch die Beziehung der USA zu Mexiko. «Hell or High Water» analysiert die wirtschaftlich schwierige Lage der Familien in unterentwickelten Gegenden im Hinterland der USA und den Einfluss des Grosskapitals aus den Städten auf diese Zurückgelassenen. «Wind River» schliesslich spielt im Niemandsland der Indianerreservate und ergründet den Umgang der USA mit seinen Ureinwohnern, speziell dem spurlosen Verschwinden vieler indigener Frauen.
Alle drei Spielfilme sind Neo-Western, die ohne die klassischen Cowboyhüte und weiten Steppen mit rötlichem Sand auskommen, aber genau wie ihre klassischen Vorbilder die Frage nach der Identität der USA stellen. In «Yellowstone» nimmt Sheridan die traditionelle Cowboy-Ikonografie im Sinne eines John Ford nun erstmals in einem seiner Werke auf und erkundet die Grenze zwischen dem Einflussbereich des Gliedstaates und demjenigen der Landesregierung.
Wie schon in der Spielfilmtrilogie ist es eine komplexe Welt, worin unterschiedliche Mächte miteinander ringen: Thomas Rainwater (Gil Birmingham), der Leiter des nahen Indianerreservats, setzt alles daran, das Land der Duttons ins Reservat einzuschliessen. Dan Jenkins (Danny Huston), der Yuppie aus Kalifornien, will wiederum Häuser neben die Farm bauen und so das Land den Städtern zugänglich machen. Aber der Patriarch John macht es ihnen nicht leicht, denn nicht nur er, sondern auch zwei seiner Kinder haben politische Ämter inne, und seine seit Generationen bestehenden Verbindungen mit den Familien in der Gegend ermöglichen es ihm, fast alle seinem Willen zu unterwerfen. Um Duttons fast schon diktatorische Macht im Gliedstaat zu brechen, hetzen ihm seine Gegner die Umweltbehörde auf den Hals und beteiligen sich an Landspekulationen.
Jeder muss sich selber helfen
In Sheridans Spielfilmen ist es einfacher, mit den Protagonisten zu sympathisieren, weil sie in einer ausweglosen Situation ihr Bestes geben. Aber John Dutton ist ein reicher, kalt kalkulierender Machtmensch, der Herrscher einer Dynastie, dem sich alle anderen unterzuordnen haben. Und doch scheint er der Einzige, dem sein Land wirklich am Herzen liegt. Damit bleibt er trotzdem ein Sympathieträger: Er ist der Patron, der sich kaputt schuftet für seine Ranch und für die Menschen, die dort leben.
Die Fragen, die Sheridan damit aufwirft, sind hochaktuell: Wie wirkt sich die Macht einer Dynastie auf die Menschen um sie herum aus? Darf Amerika mit Gewalt seine Werte durchsetzen, wenn diese Werte mit denjenigen der Unterworfenen unvereinbar sind? Und wie weit darf ein Landeigentümer gehen, um sein Land vor den Auswüchsen des Kapitalismus zu verteidigen? Taylor Sheridans Sicht wirkt pessimistisch. In seinerWelt ist das System längst kaputt, und jeder kann sich nur noch selber helfen, notfalls eben mit Gewalt.





