
Unheimliche Clowns halten derzeit die Welt in Atem. Auch wenn Clowns meist als harmlose Possenreisser dargestellt werden, versteckt sich unter der Schminke oft das Grauen, wie ein kurzer Blick in die Kulturgeschichte zeigt.
Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)
Plötzlich springt ein Clown aus dem Gebüsch. Manchmal sogar mit einer Kettensäge in der Hand. Diese Erfahrung haben in letzter Zeit zahlreiche Menschen auf der ganzen Welt gemacht. Zuletzt auch im Kanton Zürich, wo gemäss «NZZ» seit Mitte Oktober acht so genannte «Horrorclowns» gemeldet wurden. Die globale Hysterie begann anscheinend damit, dass zwei Clowns in South Carolina versuchten, einen Knaben in den Wald zu locken.
Mittlerweile finden sich auf YouTube unzählige Videos, in denen Clowns aus dem Schatten springen und Passanten das Fürchten lehren – worauf von Angriffen auf die Spassvögel berichtet wurde. Nun existiert schon der Hashtag #clownlivesmatter, weil sich als Clown arbeitende Menschen vor Racheakten der Bevölkerung fürchten. Sogar Horror-Altmeister Stephen King höchstpersönlich sah sich bemüssigt, über Twitter zu kommentieren: «Leute, es ist Zeit, die Clown-Hysterie abkühlen zu lassen.»
Clowns gehören vor allem zu unserer Kindheit, aber die Erinnerungen daran sind oft ambivalent: Vielleicht assoziieren Sie mit dem geschminkten Gesicht den kürzlich verstorbenen Dimitri oder den tollpatschigen Gaston vom Zirkus Knie, der Sie zum Lachen brachte.
Oder falls Ihr Geburtsjahr in den 1970er Jahren liegt, war Ihre Kindheit vielleicht geprägt von der sprechenden Horror-Clown-Puppe aus dem Film «Poltergeist» (1982), die den Buben ins Bett zieht, oder vom dauergrinsenden, scheinbar unschuldigen Kasperli, der mit einer Pritsche, die verdächtig einem Baseballschläger gleicht, auf seine Mitmenschen einprügelt.
Aber der Clown ist nicht nur heutzutage eine ambivalente Figur, ambivalent waren schon seine Ursprünge. Diese finden sich einerseits in den Sagen und Mythen vieler Kulturen. Bei den Hopi-Indianern waren es schwarz-weiss geschminkte Tänzer, die zum Abbau von Spannungen im Stamm beitrugen, indem sie ungewolltes Verhalten ins Lächerliche zogen.
In der europäischen Kultur ist vor allem der kleinwüchsige Puck bekannt, wahlweise als bösartiger Dämon oder guter Hausgeist, der den Menschen Hausarbeiten abnahm oder sie ärgerte und dem Shakespeare im «Sommernachtstraum» zu Weltruhm verhalf.
Andererseits liegen die Ursprünge im griechischen Theater, wie Benjamin Radford in seinem Buch «Bad Clowns» (2016) aufzeigt. Meist gab es da glatzköpfige Possenreisser mit gepolstertem Bauch, Eselsohren und Hakennase. Sie parodierten in einer Farce die seriöseren Rollen der anderen Schauspieler. Die gleiche Figur findet sich auch im römischen Theater.
Der stupidus wurde zur Erheiterung des Publikums von den anderen Figuren übers Ohr gehauen und geschlagen, oder er nutzte selber aktuelle Skandale, um über die Mächtigen herzuziehen. Eine Tradition, die sich später im Karneval wiederfindet, in dem es um die Umkehrung von hierarchischen Strukturen und das Lächerlichmachen der Mächtigen geht.
Manchmal waren die Darsteller Kleinwüchsige oder Krüppel. Von ihnen und den Narren sagte man, sie hätten göttliche Kräfte, weshalb man ihnen mehr Spielraum gab. Im Hofnarren der späteren Jahrhunderte findet man diese Ausprägung wieder.
Die erste Clown-Figur, die dem heute weitverbreiteten Clown am nächsten kommt, findet sich in der Commedia dell’Arte, die auf beide Ursprünge zurückgeht. Im Harlekin (Arlecchino) vermischten sich unter einer Halbmaske die dämonischen Züge mit dem Possenreisser.
Eine spätere Ableitung davon ist der dumme August. Mit seinen übergrossen Schuhen und den weiten Hosen ist er oft der tollpatschige Gehilfe des intelligenteren weissgesichtigen Clowns. Dafür bringt er mit viel Körpereinsatz das Publikum zum Lachen. Laurel und Hardy haben dem Duo auf ihre Art ein Denkmal gesetzt.
Wenn Buster Keaton aus dem Auto oder eine Treppe hinunter fällt, müsste er sich eigentlich verletzen. Stattdessen steht er wie von unsichtbaren Mächten beschützt unversehrt wieder auf. Das Gleiche gilt für die Gesichtsbemalung. Eine Maske oder ein geschminktes Gesicht gibt zwar Schutz und eine gewisse Freiheit für den Träger, andererseits wirken sie irritierend auf das Gegenüber, weil sie verstecken, was unter der Schminke ist.
Joseph Grimaldi, einer der ersten berühmten Clowns, lebte im 19.Jahrhundert in London und hatte nicht nur einen gewalttätigen Vater, sondern verlor auch seine Frau im Kindbett und seinen Sohn an den Alkohol. Der an Depressionen leidende Grimaldi prägte das Bild des weinenden Clowns und soll einmal gesagt haben: «Ich bringe euch in der Nacht zum Lachen, aber bin trübsinnig den ganzen Tag.» Eine Figur, die sich unter anderem auch in Emeli Sandés Lied «Clown» (2012) über die dunkeln Seiten der Musikindustrie findet oder im Kettenraucher Krusty bei den Simpsons.
Aber warum kann ein Clown Menschen in Angst und Schrecken versetzen? Das hat nicht nur mit seiner Unzerstörbarkeit und der Maske zu tun, sondern auch mit seinen überzeichneten Gesichtszügen. Als Akzeptanzlücke, basierend auf Freuds Konzept des Unheimlichen, bezeichnet man das Phänomen, wenn einem etwas vertraut ist und gleichzeitig seltsam wirkt, wie das Gesicht eines humanoiden Roboters, einer verwesenden Leiche oder eben eines Clowns. Deshalb lösen diese Gesichter Furcht und Widerwillen aus.
Der Clown trägt zwar ein Lachen im Gesicht, aber es ist aufgemalt und zeigt so eine forcierte Fröhlichkeit, die besonders im Joker aus der «Batman»-Serie ihren schreckenerregenden Höhepunkt findet. Während Jack Nicholsons Joker in Tim Burtons «Batman» (1989) wie ein überdrehter, dauergrinsender Irrer wirkt, ist Heath Ledgers Version in der Christopher-Nolan-Trilogie (2005–2012) teuflischer, weil sich darunter an den Mundwinkeln Narben von Schnittverletzungen zeigen und sich Abgründe von Folter und Schmerz auftun.
Aber so richtig eingebrannt hat sich der Horror-Clown in das kulturelle Gedächtnis als Pennywise aus Stephen Kings Roman «Es» (1986) und der vier Jahre später erschienenen gleichnamigen Miniserie.
In der Kleinstadt Derry werden kleine Kinder auf bestialische Weise ermordet. Als das Papierschiffchen des kleinen Georgie in die Kanalisation gespült wird, guckt plötzlich Pennywise aus der Öffnung hervor und streckt dem Knaben das Schiffchen entgegen. Als Georgie das dürre Ärmchen danach ausstreckt, reisst ihn der Clown in die Tiefe.
Ein Ende der Clown-Sichtungen ist noch nicht absehbar, denn nun steht auch noch Halloween – die Nacht der Toten und der Maskierten – vor der Türe. Also seien Sie vorsichtig, Sie wissen ja: Man weiss nie, was sich unter den aufgemalten Gesichtszügen verbergen könnte.