Dieser Käfig besteht aus Marmor

So palastartig sieht das Altersheim in Florida aus.

Der Dokumentarfilm «Golden Age» porträtiert eine Altersresidenz für Superreiche in Miami. Ganz schön skurril.

Von Murièle Weber (Züritipp)

Ein alter Mann will König für einen Tag sein. Also wird er in eine rote Robe gesteckt und erhält Krone und Zepter. So ausgestattet, schreitet er weite Gänge ab und instruiert Angestellte und Einwohner, wie sie ihm zu huldigen haben. Das ist eine von vielen bizarren Szenen aus einer Altersresidenz für Super­reiche in Miami.

Das Gebäude gleicht einem Las-Vegas-Casino. Jeder Winkel ist bis ins Detail ausgeleuchtet, Fenster gibt es keine. So verlieren die Bewohner bald den Kontakt zum Draussen, genau wie zu Tag und Nacht. Zwischen Kronleuchtern, Marmor und Gold werden die Alten dauerunterhalten. Alles ist im Preis inbegriffen: Happy Hour, Halloweenparty, Singstunden. Hauptsache, niemand langweilt sich und will die Residenz verlassen oder sich gar draussen unter das gemeine Volk mischen.

Keine Spur von Altersmüdigkeit: Superreiche in einer Altersresidenz. Video: YouTube/First Hand Film

In ihrem goldenen Käfig, auf den der Filmtitel anspielt, verlieren die Alten vollends den Kontakt zur Realität, falls diese Superreichen den jemals hatten. So erklärt ein begeisterter Trump-Anhänger, warum man unbedingt die Grenze zu Mexiko schliessen muss, während zugleich das ganze Servicepersonal im Haus aus Lateinamerikanern besteht, die ziemlich sicher zu schlechten Konditionen angestellt sind.

Wenn an einer Sitzung der Sohn des Inhabers dem Angestellten 100 Dollar verspricht, der die Regeln für perfekten Service auswendig herunterleiern kann, dreht es einem vollends den Magen um. Dass eine Angestellte das dann nur auf Spanisch machen kann, überrascht hingegen gar nicht. Schliesslich ist sie zum Putzen da – Englischkenntnisse würden sie nur dazu motivieren, sich über ihre Rechte zu informieren.

Den Einblick in diese abstruse Welt verschafft uns der Schweizer Dokumentarfilmer Beat Oswald. Die Idee zu «The Golden Age» kam ihm, als er 2001 in Florida studierte. Damals beeindruckte ihn die Unverkrampftheit, mit der die Amerikaner sich dem Thema Pensionierung nähern.

In den letzten fünf Jahren befasste er sich intensiv mit dieser wachsenden Serviceindustrie und wurde dabei auf The Palace, wie die porträtierte Residenz heisst, aufmerksam. Drei Monate lang mischten sich die Filmcrew unter das Personal und die Bewohner. Die Erlaubnis dafür gab ihnen die Besitzerfamilie ohne Bedenken – denn die wusste, dass die Anwesenheit der Crew für die Bewohner ein weiterer Unterhaltungsfaktor darstellen würde.

Das dritte Geschlecht

Pe Rak, eine der Protagonistinnen, in einem Bus in Thailand.

Der Dokumentarfilm «Katoey» porträtiert drei Transfrauen in Thailand. Sind die Leute dort toleranter?

Von Murièle Weber (Züritipp)

Eine Überlieferung der buddhistischen Genesis besagt, dass die Ureltern – Pu Sangaiya und Nang Itthang – drei Kinder hatten: ein Junge, ein Mädchen und eines dazwischen. Diese Urgeschichte motivierte Regisseur Stefan Jung dazu, sich in Thailand auf die Suche nach diesem dritten Geschlecht zu machen mit der Frage im Hinterkopf, ob die thailändische Gesellschaft dadurch toleranter sei.

Während vier Jahren begleitete er drei Transfrauen, die sich selber als Katoey, als «Zwitter», bezeichnen. Die geschlechtsangleichende Operation steht in ihrem Leben nicht im Mittelpunkt – oft, weil schlicht das Geld fehlt. Und so bleiben die Körper irgendwo im weiten Kontinuum zwischen männlich und weiblich angesiedelt.

Es ist ein kleiner Film, der nur die drei Frauen zu Wort kommen lässt und sie in ihrem Alltag begleitet. Eine ist Lehrerin an einer Mädchenschule, eine andere Coiffeuse und die dritte eine Bauersfrau, die mit ihrem alten Vater und dem jungen Freund zusammenlebt. Alle drei hatten es nicht einfach im Leben, sie werden aber in ihrer Einzigartigkeit akzeptiert und sind integriert.

Trotzdem umgibt die drei Frauen eine Traurigkeit, die wohl einer gewissen Einsamkeit entstammt. Die Bauersfrau erzählt einmal, Katoey seien treuer und loyaler gegenüber ihren Männern als «normale» Frauen, und darin zeigt sich bereits das Dilemma: Wer keine richtige, funktionierende Frau ist, muss dieses Manko durch mehr Aufmerksamkeit ausgleichen.

Stefan Jung kann seine Fragestellung, ob die thailändische Gesellschaft toleranter sei, weil in ihrer Genesis ein drittes Geschlecht vorkommt, nicht beantworten. Aber eines zeigt der Film eindrücklich: dass jedes Leben und jeder Körper in seiner Einzigartigkeit faszinierend ist. Und dass es sich lohnt, davon zu erzählen.

Die Rolle des Zeugen

James Baldwin am Albert Memorial. Bild: Wiki Commons

Der haitianische Regisseur Raoul Peck erzählt im Film «I Am Not Your Negro» vom afroamerikanischen Autor James Baldwin. Dieser analysierte die Rolle der Schwarzen im Amerika.

Von Murièle Weber (Züritipp)

Ein afroamerikanisches Mädchen wird angespuckt auf dem Weg in eine weisse Schule. Dieses Foto hing 1957 an allen Zeitungsständen in Paris und veranlasste Autor James Baldwin (1921–1987) zur Rückkehr in die USA. «Jeder leistete seinen Beitrag, und das wollte ich auch tun», schrieb er. In den Südstaaten begleitete er deshalb Bürgerrechtsaktivisten und entdeckt dabei seine Rolle: «Als Zeuge musste ich mich so frei wie möglich bewegen, um die Geschichte zu schreiben und an die Öffentlichkeit zu bringen.» Deshalb schloss sich der Afroamerikaner nie einer politischen Bewegung an, sondern war in Kontakt mit vielen Aktivisten: Martin Luther King, Malcolm X oder Medgar Evers.

Über diese drei wollte Baldwin ein Buch schreiben, das aufgrund seines Todes leider ein Fragment blieb. Dieses nahm der haitianische Regisseur Raoul Peck als Ausgangspunkt seines Dokumentarfilms. «Ich wusste, ich wollte niemand anderen zu Wort kommen lassen als Baldwin. Niemand, der ihn interpretiert. Ich wollte in seinem Kopf sein», erzählt Peck. Deshalb bat er Samuel L. Jackson darum, Baldwins Texte vorzulesen, wo der Autor mithilfe von Archivmaterial nicht gleich selbst spricht. Dabei konzentriert sich Peck auf Baldwins Texte über die Rolle der Schwarzen und ignoriert leider dessen Schaffen über Homosexualität. «Die Geschichte der Schwarzen in Amerika ist die Geschichte von Amerika, und es ist keine schöne Geschichte», schrieb Baldwin. Peck unterlegt das mit Grossaufnahmen von gelynchten Menschen. Zur Visualisierung von Baldwins Worten benutzt er aber auch Stereotype aus Comics, Werbungen und Filmausschnitte: die dicke schwarze Mammy, die über einen Kühlschrank staunt, oder den distinguierten, älteren schwarzen Diener, der seinem Herrn einen Drink reicht. Und Peck zeigt Sidney Poitier, der sich am Schluss von «The Defiant Ones» (1958) für seinen weissen Mitgefangenen aufopfert. «Dem weissen Publikum sollte damit vermittelt werden, dass die Schwarzen ihnen trotz aller Verbrechen nicht böse waren», analysiert Filmfan Baldwin.

Er ist eine wichtige, manchmal schon fast vergessene amerikanische Stimme, einer, der genau beobachtete und scharfsinnig berichtete. Raoul Pecks Entscheidung, sich vollständig auf Baldwins Worte zu verlassen, war richtig.