Tales of the City

Kreiert von Lauren Morelli, Armistead Maupin, mit Laura Linney, Ellen Page, Olympia Dukakis, Paul Gross, Dauer 10 Folgen à 60 Minuten, Sender Netflix 

Von Murièle Weber (FRAME)

Als Armistead Maupin in den siebziger Jahren in San Francisco ankam, war die Stadt nicht nur die Hippie-Hochburg, sondern auch ein sicherer Hafen für schwule Männer. Hier konnte der ehemalige Südstaatler endlich sein, was er tief drin schon immer war. Seine Erkundungstouren durch die Stadt, die Saunas und Bars hielt Maupin in einer wöchentlichen Kolumne mit fiktiven Charakteren für die Familienzeitung «San Francisco Chronicle» fest. Daraus entstanden neun Romane um den schwulen Michael Tolliver, seine beste Freundin Mary Ann und ihre Vermieterin Anna Madrigal, eine Transfrau. Maupin war schon immer mehr als ein Schwulenaktivist. Er war vor allem auch ein Stadtchronist, der seine Heimat über vierzig Jahre lang beobachtet hat. Seine Bücher wurden zuvor bereits zweimal als Serie adaptiert: Im Jahr 1993 Band 1 für Channel 4, und 1998/2001 Band 2 und 3 für Showtime. Jetzt folgt die Miniserie von Netflix aus den Romanen 6 bis 9. Die Geschichte um Mary Ann (Laura Linney), Michael (Murray Bartlett) und Freunde funktioniert sowohl für eingefleischte Fans als auch für Einsteiger, die weder Maupins Romane, noch die alten Serien kennen. 

Wie schon die beiden ersten Serien, aber auch die Filmadaption von Maupins Roman «The Night Listener» mit Robin Williams in der Hauptrolle, funktioniert auch die Netflix-Produktion vor allem wegen der liebenswürdigen Figuren, die hoffnungslos romantisch und immer auf der Suche nach der grossen Liebe sind und gleichzeitig mit allerlei Alltagsproblemen zu kämpfen haben. Sei das die Gentrifizierung San Franciscos, die geschlechtsangleichende Operation der lesbischen Freundin oder der Ex, der plötzlich wieder in der Stadt ist und zur Bedrohung für die eigene Beziehung wird. Die Romane bieten so viel Stoff, dass gut fünf Staffeln hätten gedreht werden können, und durch den Versuch, möglichst viel in die zehn Folgen zu packen, wurden die Drehbücher überfrachtet, weshalb eine Storyline die nächste jagt. Aber wer die Figuren mag und diese Welt, in der jeder in seiner Einzigartigkeit geliebt wird, dem ist das von Herzen egal. 

The Umbrella Academy

Kreiert von Jeremy Slater, mit Ellen Page, Tom Hopper, Mary J. Blige, Cameron Britton, Colm Feore, Dauer 10 folgen à 60 Minuten, Sender Netflix 

Von Murièle Weber (FRAME)

An einem Tag im Jahr 1989 werden innert Stunden 49 Kinder geboren, von Müttern, die bis kurz vor der Geburt keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft gezeigt hatten. Sieben dieser Kinder werden vom steinreichen Industriellen Sir Reginald Hargreeves (Colm Feore) adoptiert. Als sie in ihrer Kindheit aussergewöhnliche Fähigkeiten entwickeln, gründet Hargreeves die Umbrella Academy. Seine Kinder sollen dereinst die Welt retten.

Bereits als Teenager schickt ihr Adoptivvater sie in die Welt hinaus, damit sie sich bewähren und ihm Ruhm verschaffen. Weil der Grossindustrielle ignoriert, dass diese jungen Menschen auch emotionale Bedürfnisse haben, entwickeln sich die sieben zu Komplexhaufen mit zahllosen sozialen und emotionalen Problemen, und bald zerstreiten sie sich. Als sie Anfang 30 sind, stirbt ihr Adoptivvater, und sie kommen im alten Haus nochmals zusammen, um Abschied zu nehmen. Dort erfahren sie vom baldigen Ende der Welt, wogegen sie den Kampf aufnehmen. Cha Cha (Rapperin Mary J.Blige) und Hazel (Cameron Britton) sollen sie von diesem Vorhaben abbringen.

Die Serie basiert selbstverständlich, wie der Grossteil aller Superhelden-Geschichten, auf Comic-Büchern. Dieses Mal kreiert von Gerard Way, dem Sänger der Band My Chemical Romance, und dem Künstler Gabriel Bá. Ihre verkorksten Figuren sind die passenden Superhelden für unsere Zeit: Sie stammen aus verschiedenen Ländern, aber wachsen zusammen auf. Es sind junge Egoisten mit komplexen Problemen. Und während traditionelle Comics sich hauptsächlich um starke heterosexuelle Männer drehen, erblassen diese hier neben den komplexen Frauenfiguren, neben Klaus mit seiner queeren Identität und Nummer 5, der ein Bub geblieben ist. Dieses sind die Hauptfiguren und Sympathieträger. Verfilmt wurde die Serie in düsteren Farben und mit einem phänomenalen Popsoundtrack. «The Umbrella Academy» erinnert an die Exzentrik der Netflix-Serie «Maniac», verzichtet allerdings auf eine verworrene Erzählweise. Da dürfen gerne weitere Staffeln folgen. 

The ABC Murders

Kreiert von Sarah Phelps, mit John Malkovich, Rupert Grint, Tara Fitzgerald, Dauer 3 folgen á 60 Minuten, Sender BBC1/Amazon 

Von Murièle Weber (FRAME)

Hercule Poirot wurde bereits von den besten Schauspielern unserer Zeit verkörpert. In der neuesten Adaption des gleichnamigen Agatha-Christie-Romans spielt nun John Malkovich den belgischen Detektiv. Dieser erhält eine Serie von Briefen zugeschickt, in denen in alphabetischer Reihenfolge Morde an Menschen angekündigt werden. Weil er die Opfer retten will, sucht Poirot seinen guten Freund Inspektor Japp auf, nur um zu erfahren, dass Japp in Pension gegangen ist und der junge, ambitionierte Inspektor Crome (Rupert Grint) nun dessen Posten übernommen hat. 

Der arrogante Crome aber lässt Poirot abblitzen, weshalb sich Poirot selbst auf die Suche macht, als er vom Mörder weitere Hinweise auf seine zukünftigen Opfer erhält. Als Poirot jedoch in Andover ankommt, wo das erste Verbrechen stattfinden soll, ist Alice Ascher bereits tot, und auch Betty Bernhard aus Bexhill und Sir Carmichael Clarke aus Churston kann er danach nicht mehr retten.

Der Christie-Roman von 1936 wurde thematisch für das Brexit-Zeitalter adaptiert: Während Poirot im Buch gefeiert wird, erlebt der Belgier in der Serie als Ausländer im London der dreissiger Jahre Ausgrenzung und Rassismus. In der Öffentlichkeit wird er bespuckt und bedroht. Und wenn er allein ist, wird er von den schlimmen Erinnerungen an seine Flucht nach England während des Ersten Weltkrieges verfolgt. Malkovich spielt Poirot als ehrenvollen, tief religiösen, alten Mann, der viel Mitgefühl für seine Mitmenschen hat, aber stark an der Ablehnung und der Ausgrenzung leidet. Grint, der sich bis anhin nicht allzu oft als grossartiger Schauspieler ausgezeichnet hat, schafft es diesmal, den richtigen Ton zu treffen und aus Crome sowohl eine arrogante, aber mit der Zeit doch auch sympathische Figur zu schaffen. «The ABC Murders» wurde in schönen Bildern verfilmt, ist spannend und unterhaltsam, nur den moralischen Zeigefinger, mit dem stets wieder gefuchtelt wird, hätte es nicht gebraucht. Selbst wenn die Themen Flucht und Nationalismus, um die sich vieles dreht, aktuell sind. 

Picnic at Hanging Rock

Kreiert von Larysa Kondracki, mit Natalie Dormer, Lily Sullivan, Lola Bessis, Samara Weaving, Dauer 6 folgen à 51 Minuten, Sender amazon prime

Von Murièle Weber (FRAME)

In der Nähe der Felsformation Hanging Rock im australischen Busch verschwinden 1900 drei junge Frauen und eine Lehrerin aus einem Mädcheninternat, das von der gestrengen Mrs. Appleyard (Natalie Dormer) geführt wird. Diese gibt sich als Witwe aus, erzählt dem Publikum aber bereits in den ersten Minuten, dass sie auf der Flucht vor einem Mann sei, der sie hier niemals finden könne. Die Mädchen werden im Internat auf ein Leben als Ehefrau und Mutter der oberen Mittelschicht vorbereitet. Obwohl sie sich nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sehnen, werden sie in Korsetts und weisse Handschuhe gesteckt.

«Picnic at Hanging Rock» basiert auf dem gleichnamigen Roman von Joan Lindsay von 1967, der eine fiktive Geschichte im Stile eines pseudohistorischen Ereignisses erzählt und sich auf die mysteriöse Stimmung und die Geheimnisse aller Beteiligten konzentriert, die durch die Suche nach den Mädchen ans Licht kommen. Auch die Rolle der Weissen in einem ihnen fremden Land wird thematisiert. 

Die Serie setzt die mysteriöse Stimmung in wunderschönen Bildern um und stellt der einengenden Atmosphäre der viktorianischen Zivilisation die lockende, wilde Natur Australiens gegenüber. In der Neuinterpretation des Stoffes werden die weiblichen Rollen aktualisiert, und es schwingt oft eine homoerotische Note zwischen den Schülerinnen und Lehrerinnen mit, die in diesem zutiefst femininen Biotop leben, abgeschieden von männlichen Einflüssen. Neben dem Rätsel um den Verbleib der ­Verschwundenen ist die Serie deshalb vor allem eine Studie über das sexuelle Erwachen junger Frauen.

Maniac

Kreiert von Cary Joji Fukunaga, mit Emma stone, Jonah Hill, Billy Magnussen, Sonoya Mizuno, Dauer 10 Folgen à 60 Minuten, Sender Netflix 

Von Murièle Weber (FRAME)

Die Idee, dass mit moderner Medizin fast alles kuriert werden kann, wird in dieser Serie um die psychologische Ebene erweitert. Ein japanischer Pharmakonzern forscht an einer Möglichkeit mittels drei Pillen und Mikrowellenstrahlen emotionale Traumata zu beheben. Eine anstrengende und oft schmerzhafte Gesprächstherapie würde so überflüssig.

Bei dieser Studie treffen sich Annie (Emma Stone) und Owen (Jonah Hill). Er ist der jüngste Sohn eines Grossindustriellen, der von seinen Brüdern gepiesackt wird und offensichtlich an einer schweren Schizophrenie leidet. Sie trauert über den Verlust ihrer Schwester und scheint eine Borderline-Störung zu haben. Owen ist davon überzeugt, dass Annie die Kontaktperson für seine Mission ist, um die Welt zu retten, während Annie den seltsamen Kauz lieber loswerden möchte. Per Computersimulation werden die beiden mit ihren Traumata konfrontiert. Aber weil der weibliche Computer an Depressionen leidet, tröstet sie sich damit, dass sie Annie und Owen einander in ihren Phantasien treffen lässt. 

Diese Phantasien sind allesamt Filmhommagen und erinnern an «Lord of the Rings»-ähnliche Abenteuer, Mafiafamiliendramen, einen Krimi im Stil der 1920er und ein Unterschichtendrama inklusive Tierdiebstahl im Stil der 1980er. Die Serie basiert lose auf einem gleichnamigen norwegischen Vorbild, in dem der Protagonist als Psychiatriepatient der Held seiner eigenen Tagträume ist, während er im normalen Leben als Versager durch die Welt geht. Im Original wie in der Neuverfilmung geht es um die Frage: Ist es besser, im Alltag zu leiden oder in der Phantasie glücklich zu sein? Der 1977 geborene Regisseur Cary Fukunaga hat von seiner Arbeit an «True Detective» bereits Erfahrung mit existenziellen Themen in Serien. Die dunkle Komödie «Maniac» enthält viele kleine, interessante Details für die Weltbildung und wechselt zwischen dystopischem Science-Fiction, Verschwörungs-Thriller, Familiendrama und Liebesgeschichte, wobei man bis zum Schluss nicht genau weiss, worauf alles hinausläuft. 

Safe

Kreiert von Harlan Coben, mit Amy James-Kelly, Amanda Abbington, Michael C. Hall, Dauer 8 Folgen à 60 Minuten, Sender Netflix 

Von Murièle Weber (FRAME)

Eine Grillparty unter Nachbarn: Die Kinder spielen Fussball, die Frauen richten das Essen, und die Männer gönnen sich ein Bier. Alles scheint harmonisch in dieser kleinen bewachten Wohnanlage irgendwo in Grossbritannien. Dann kommt die 16-jährige Tochter von Tom (Michael C. Hall) nach einer Party nicht mehr nach Hause. 

Auf der Suche nach ihr stolpert der Vater über die Leiche ihres Freundes und unzählige kryptische Whatsapp-Nachrichten zwischen den beiden. Bald wird Tom mit der ihm unbekannten Vergangenheit seiner toten Frau konfrontiert, und der Verdacht kommt auf, dass jemand aus dieser Vergangenheit auch für das Verschwinden der Tochter verantwortlich ist.

Seit 2015 hat der amerikanische Krimiautor Harlan Coben jedes Jahr eine Serie verwirklicht. Wie in seinen früheren Serien sind auch in «Safe» die zentralen Themen eine verdrängte traumatische Vergangenheit, die Schuld aller Beteiligten daran und die Konsequenzen davon, die sich bis in die Gegenwart erstrecken. Es ist das klassische Motiv von Schauergeschichten, das Sigmund Freud mit dem Begriff des Unheimlichen beschrieben hat: Erst wenn die Vergangenheit ans Licht gezerrt wird, können die alten Geister ruhen. 

Während Cobens Serie «The Five» (2016) in sich stimmig war und den Spannungsbogen aufrechterhielt, wollen die einzelnen Teile in «Safe» nicht richtig zusammenpassen. Schon der Eröffnungssong, «Glitter & Gold» von Barns Courtney, wirkt mit seiner Mischung aus Rock, Country und Gospel nicht sehr britisch, der Akzent von «Dexter»-Darsteller Michael C. Hall lässt sich geografisch in Grossbritannien nicht verorten, und auch die bewachte Wohnanlage passt besser zu den USA als zu Europa. Hier wirkt alles irgendwie deplatziert. Auch legt die Serie mehr Wert auf die persönlichen Beziehungen zwischen den Figuren, denn auf die Aufklärung des Mordes und das Wiederfinden der Tochter. «Safe» bietet zwar kurzweilige Unterhaltung, ist aber zwischen all den Perlen auf dem aktuellen Serienmarkt nichts, das einem länger im Gedächtnis haften bliebe.