Ich bin trans, na und?

Foto: Flickr, Alberto Frank

Caitlyn Jenner verändert mit ihren Auftritten die Wahrnehmung von Menschen, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Auch die Kunst zeigt Transgender nicht mehr als Psychopathen oder glatte Transvestiten.

Von Murièle Weber (NZZ am Sonntag)

Seit ihrem Comingout als Transgender im April ist die ehemalige Olympiasiegerin im Zehnkampf (damals noch Bruce) und das frühere Oberhaupt des Kardashian-Clans Caitlyn Jenner nicht mehr aus den Medien wegzudenken. Es folgten ein viel diskutiertes Fotoshooting und die «Call Me Caitlyn»-Titelgeschichte im Magazin «Vanity Fair». Seit letztem Sonntag läuft Jenners eigene Reality-Show «I Am Cait» auf dem amerikanischen Sender E!. 

Es vergeht kaum eine Woche ohne Berichte über Transgender. Vorletzte Woche wurde bekannt, dass die amerikanische Armee laut darüber nachdenkt, Transmenschen in ihren Reihen zu akzeptieren. Diese Armee also, die erst 2011 ihre «Don’t Ask, Don’t Tell»-Politik aufgehoben hatte, die besagte, dass Homosexuelle nur dienen durften, solange ihre Sexualität nicht bekannt war. Selbst im erzkonservativen Polen sitzt eine Transfrau im Parlament. 

Wie kommt es, dass in wenigen Jahren die Sichtbarkeit und Akzeptanz von Transmenschen so stark zugenommen hat? Die Transfrau Laverne Cox, die in der Netflix-Serie «Orange Is the New Black» spielt, und der Schauspieler Jeffrey Tambor, der in der preisgekrönten Amazon-Serie «Transparent» eine Transfrau verkörpert, sind nicht umsonst zu inoffiziellen Sprechern der Transcommunity befördert worden. Denn der Kunst kommt eine zentrale Rolle zu. Schon Oscar Wilde verwies auf diese Wechselwirkung: «Das Leben imitiert die Kunst viel häufiger als die Kunst das Leben.» 

Bis in die neunziger Jahre noch wurden Transmenschen im Massenmedium Kino auf Crossdresser reduziert: von Jack Lemmon und Tony Curtis, die in «Some Like it Hot» (1959) in Röcken ein Frauenorchester infiltrieren, bis zu Robin Williams als grauhaarigem, vollbusigem Kindermädchen «Mrs. Doubtfire» (1993). Oder sie wurden als wahnsinnige Serienmörder skandalisiert: von Norman Bates in «Psycho» (1960), der, als seine Mutter verkleidet, mit einem überdimensionierten Messer Frauen in der Dusche attackiert, bis zu Serienmörder Buffalo Bill in «The Silence of the Lambs» (1991), der sich aus der Haut der getöteten Frauen ein Kostüm näht. Erst Ende der neunziger Jahre wurde mit «Boys Don’t Cry», der Lebens- und Leidensgeschichte des Transmannes Brandon Teena (Hilary Swank), ein neues Kapitel aufgeschlagen. 

Die siebziger Jahre ebneten immerhin den Weg zu mehr Anerkennung. Zwar war es damals noch kaum möglich, Transgender jenseits der Stereotype zu zeigen. Doch die breitere Akzeptanz des Feminismus und das Aufkommen der Schwulen- und Lesbenbewegung ermöglichten es, starre Geschlechterrollen aufzubrechen und damit zu experimentieren. Während auf den Laufstegen androgyne Models wie Grace Jones Einzug hielten, verkörperten in den Glam-Rock-Jahren Sänger wie David Bowie als «Ziggy Stardust» geschminkte, androgyne Wesen. 

Transmenschen sichtbar machten dann Künstler wie die Fotografin Nan Goldin. Sie zeigte bereits in den siebziger Jahren ein differenziertes und vor allem humanisierendes Bild der Drag- und Transcommunity in New York City, die sie über Jahre hinweg porträtierte und 1993 in «The Other Side» zusammenfasste. «Die Menschen in diesem Buch leiden nicht an einer Geschlechterdysphorie [Störung], sondern geben ihrer Geschlechtereuphorie Ausdruck», sagte Goldin dazu. Und im Film «Car Wash» (1976) wagte es dann auch zum ersten Mal eine Transfrau, sich gewieft gegen die verbalen Diskriminierungen eines Arbeitskollegen zu wehren: «Ich bin mehr Mann, als du jemals sein wirst, und mehr Frau, als du jemals haben wirst.»

Wichtig war nicht nur, dass Geschlechterrollen aufgebrochen und Transmenschen sichtbarer gemacht wurden, auch die Authentizitätsbotschaft ist zentral. In «The Rocky Horror Picture Show» (1975) verführt der selbstproklamierte Transsexuelle Frank’N’Furter in Pumps, Strapsen und Korsett das verklemmte Studentenpaar Brad und Janet. Dies animierte Menschen in aller Welt dazu, ihrer eigenen Verrücktheit Ausdruck zu verleihen und in Kinos lauthals die Authentizitätshymne «Don’t Dream It, Be It» zu johlen. Auch heute tragen Comingouts von Berühmtheiten oder die flamboyanten Auftritte von Conchita Wurst die Botschaft in sich «Du darfst so sein, wie du willst». Das ist nicht nur für Transmenschen verlockend, sondern kommt auch beim biederen Durchschnittsbürger an. 

Aber wie die Kulturwissenschafterin Elahe Haschemi Yekani richtig feststellt, ist es «zu einfach zu sagen, mehr Bilder gleich mehr Akzeptanz». Es kommt auf die Art der Darstellung von Transmenschen an. Diese muss normalisierend sein statt schockierend. 2005 wurde mit dem Film «Transamerica» genau das erreicht. Die Transfrau Bree (Felicity Huffman) kommt ihrem bis anhin fremden Sohn auf einer Reise durch die USA näher. Weil diese Formel bekannt ist, sieht Haschemi Yekani darin den normaliserenden Effekt. «Der Film nimmt das typische Roadmovie und konzentriert sich auf das Familiäre. Bree ist eine komplexe Figur, die unter anderem trans ist.»

In der guten Stube

Kein anderes Medium erreicht einen normalisierenden Effekt so effizient wie das Fernsehen. Da der Fernsehapparat – oder heute oft der Computer – in den eigenen vier Wänden steht, holt man sich die Welt quasi ins Familien-Wohnzimmer. Nebenrollen von Transmenschen in TV-Serien wie «Glee» oder «Grey’s Anatomy», aber auch Auftritte in «Let’s Dance» sind deshalb wichtig für die Minderheit. Eingebettet in diese Serien, erscheinen Transmenschen nicht als etwas Aussergewöhnliches, sondern in «Dimensionen des Alltäglichen», wie Haschemi Yekani es nennt. In der Serie «Transparent» «geht es natürlich um die Geschlechtsangleichung einer Figur, aber es geht auch um Familienprobleme, um Beziehungsfragen und andere Themen», sagt Haschemi Yekani. Und darin erkennen wir uns alle wieder. 

Viel wurde also erreicht. Aber weil es immer noch relativ wenige sichtbare Transfrauen gibt, besteht die Gefahr, dass die dargestellte Form von Weiblichkeit als die einzige wahrgenommen wird. Dabei geht vergessen, dass Transmenschen sich im genau gleich breiten Spektrum zwischen mehr oder weniger feminin oder maskulin befinden wie alle Frauen und alle Männer. Deshalb ist die Serie «Orange Is the New Black» so erfrischend. Sie zeigt eine breite Palette an sehr unterschiedlichen Frauen, wobei ein breites Spektrum an Weiblichkeit, von der sehr maskulinen Boo (Lea DeLaria) bis zur sehr femininen Piper (Taylor Schilling), nur eines der Merkmale ist. Die (Trans-)Frau Sophia ist da eine unter vielen. 

Während sich die Filmindustrie zehn Jahre nach «Transamerica» erneut des Themas Transweiblichkeit in «The Danish Girl» annimmt (der Film mit Oscarpreisträger Eddie Redmayne kommt im November ins Kino), geht Transmännlichkeit oft vergessen. Die Subkultur versucht dem entgegenzuwirken. Der Fotograf Loren Cameron zum Beispiel posiert in einem Selbstporträt nackt, braun gebrannt, tätowiert und muskulös mit deutlichem Bartschatten in einer klassischen Bodybuilder-Pose – und mit weiblichen Genitalien. Das erhöht nicht nur die Sichtbarkeit, sondern wirft auch die Frage auf: Wie definieren wir Geschlecht?

Damit befasst sich ebenfalls der Intersex-Fotograf Del LaGrace Volcano. In einem Selbstporträt zeigt er sich mit Schnauz, Ziegenbärtchen und rosarotem Rock, den er mit herausforderndem Blick bis zur Körpermitte hochhebt, wo man kaum sichtbar seine weiblichen Genitalien sieht. Damit setzt er in Szene, womit die meisten Transmenschen tagtäglich konfrontiert sind – die Frage nämlich: «Hast du denn jetzt weibliche oder männliche Geschlechtsorgane?» Diese Frage ist verständlich, wenn man bedenkt, dass schon Kindern auf diese Weise der Unterschied zwischen Mann und Frau erklärt wird. Sie eignet sich aber schlecht, daran das ganze Spektrum von Geschlechtsidentität festzumachen.


Mit allen Nachteilen

Wann ist eine Minderheit im Mainstream angekommen? Wenn man die Antwort in einer normalisierenden Darstellung sucht, dann ist das für Transmenschen mit der Berichterstattung über Caitlyn Jenners neue Rolle sicher erreicht. Nach den überwältigend positiven Reaktionen auf ihr erstes Fotoshooting gingen die Medien sofort dazu über, ihr Aussehen bis ins kleinste Detail zu kommentieren und zu kritisieren – ein Vorgang, den Frauen seit Jahrhunderten kennen. Dies veranlasste den US-Komiker Jon Stewart in «The Daily Show», ihr wie folgt zu gratulieren: «Caitlyn, welcome to being a woman in America.»

Begriffe im Wandel – Am liebsten «Trans*» 

Auch auf Deutsch verwendet man den Begriff «transgender» für Menschen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei Geburt zugeschrieben wurde. Den früher gebräuchlichen Ausdruck «transsexuell» hingegen lehnt die Gemeinde ab, da die Geschlechteridentität nichts mit der Sexualität zu tun habe. Es wird auch nicht mehr unterschieden, ob jemand eine geschlechtsangleichende Operation gemacht hat oder nicht. Viele Transmenschen bevorzugen den Begriff «Trans*», um transgender und transsexuell vollständig zu umgehen. Daraus resultieren dann auch die Begriffe Transmann oder Transfrau. Transgender hat nichts mit Crossdressern zu tun wie dem Komiker Eddie Izzard, der häufig in Frauenkleidern auftritt, oder Transvestiten wie Thomas Neuwirth, der mit seiner Kunstfigur Conchita Wurst bekannt wurde. 

Bild: flickr / Dominick D

Laverne Cox

Die in Alabama geborene Schauspielerin macht gerne ein Geheimnis um ihr Alter. Sie wurde durch ihre Rolle als Transfrau Sophia Burset in der Netflix-Serie «Orange Is the New Black» bekannt. Gleich in drei Situationen war Laverne Cox der erste Transmensch: als sie 2013 eine Emmy-Nominierung erhielt, 2014, als sie auf der Titelseite des «Time»-Magazins erschien für einen Artikel über Transgender, und im Juni 2015, als sie ins Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud in San Francisco aufgenommen wurde.

Chaz Bono

Der 1969 in LA geborene Journalist ist das einzige Kind von Sonny und Cher. Als Kind trat er mehrmals mit seinen Eltern im Fernsehen auf. Auf öffentlichen Druck hin outete er sich 1995 als lesbisch. 2008 begann Bono mit der Geschlechtsangleichung, einer Entwicklung, die im Dokumentarfilm «Becoming Chaz» gezeigt wird. 2011 nahm Bono als Kandidat in der Sendung «Dancing with the Stars» teil. Das war das erste Mal, dass ein Transmensch in einer US-TV-Sendung auftrat, ohne dass es explizit um Trans* ging.

Bild: flickr / Joren Komen

Anohni (Antony Hegarty)

Die Sängerin der Band Antony and the Johnsons wurde 1971 in England geboren und wuchs im Raum San Francisco auf. Hegarty besingt ihre Geschlechtsidentität unter anderem im Song «For Today I Am a Boy». Vom Magazin «Flavorwire» auf ihr Geschlecht angesprochen, sagte sie: «In meinem Privatleben bevorzuge ich weibliche Pronomen. Ich denke, Wörter sind wichtig. Jemanden mit dem von ihm gewählten Geschlecht anzusprechen, würdigt seinen Geist, sein Leben und seine Errungenschaften.» 

Bild: flickr / Walt Disney Television

Caitlyn Jenner

Die zurzeit bekannteste Transfrau wurde 1949 als William Bruce Jenner in New York geboren. 1976 gewann sie an den Olympischen Spielen Gold im Zehnkampf. Als Vater von Kendall und Kylie sah man sie in «Keeping Up with the Kardashians». Im April 2015 outete sich Jenner in der ABC-Show «20/20» Diane Sawyer gegenüber öffentlich als Transfrau. Dafür erhielt sie viel Lob, selbst das Weisse Haus gratulierte zum «mutigen Schritt». Jenner setzt es sich zum Ziel, für die Rechte von Transmenschen einzustehen.